Flaschensammler, soziale Kälte und Pfandkisten


Auch in Hannover
sieht man neuerdings Pfandkisten an Laternenmasten über städtischen Abfalleimern. Sie werden bundesweit von einer Limonadenfirma verbreitet und gehen zurück auf die Initiative „Pfand gehört daneben“, die sich ein Mann namens Matthias Gomilla, Artdirector einer Berliner Werbeagentur, im Jahr 2011 ausgedacht hat. Die Idee: Pfandflaschen sollen nicht mehr im Mülleimer landen, sondern daneben gestellt oder in die Pfandkisten gesteckt werden, damit die Flaschensammler nicht im Abfall wühlen müssen.

Gestern war
ich unterwegs, um Pfandkisten zu fotografieren. Ein Flaschensammler fand die Kiste leer, schaute aber trotzdem in den Mülleimer und steckte den Arm hinein. Was läuft hier falsch? Ein geschlossener Abfalleimer ist für Flaschensammler eine Sorte Wundertüte. Wenn sie sich überwinden, den Müll zu durchwühlen, könnten sie Glück haben und fündig werden.

Eine Pfandflasche in einer Pfandkiste, kann auch ein Passant an sich nehmen, der es nicht nötig hat, im Abfall zu suchen. Pfandkisten erhöhen also die Konkurrenz, indem sie den Kreis der Flaschensammler erweitern. Gleichzeitig tilgen weithin sichtbar leere Pfandkisten das Element der Hoffnung auf einen schönen Fund im Mülleimer. Wenn aber die Pfandkiste leer ist, und ich habe auf der gesamten Limmerstraße nur leere Kisten gesehen, muss der Mülleimer trotzdem durchsucht werden, denn warum sollte der Flaschensammler einer leeren Kiste trauen? Er weiß ja nicht, ob alle Passanten ihre Pfandflaschen in die Pfandkiste stellen. Das Wühlen im Müll ist allerdings wenig erfolgversprechend, weiß der Flaschensammler.


Kiste leer! – Pfandkiste an der Limmerstraße – Foto: Trithemius

Was also zuerst wie eine gute und humane Idee wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als das Gegenteil. Dass zunehmend arme Menschen durch unsere Städte streifen, um Flaschen zu sammeln, ist der beschämende gesellschaftliche Missstand. Statt Armen mit einem ausreichenden Auskommen zu helfen, werden sie von findigen Leuten zusätzlich mit einer Marketing-Idee geplagt. Es ist halt niemand so elend, als dass nicht noch welche versuchen, Geld an ihm zu verdienen, in diesem Fall eine Limonadenfirma, die sich ein soziales Image zulegen will.

In der Adenauer-Ära kursierte ein Witz, an den ich denken muss, wenn ich diese Pfandkisten sehe:
Vor dem Kanzleramt in Bonn rutscht ein Mann auf allen Vieren und mümmelt Gras. Kommt Adenauer vorbei und fragt, was er da mache.
Sagt der Mann: „Ich bin so arm, ich muss Gras fressen.“
„Dann kommen Sie mal mit!“, sagt Adenauer, führt den Mann hinters Kanzleramt und sagt: „Hier ist das Gras saftiger. Da können Sie sich mal richtig satt essen.“

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