Frau Nettesheim hört sich einen Schwank an

Frau Nettesheim
Herr Trithemius!

Trithemius
Frau Nettesheim?

Frau Nettesheim
Werden Sie bei Gelegenheit noch mal was schreiben?

Trithemius
Hoffe ich doch. Seit Tagen schleiche ich um ein Thema herum, hab Material zusammengetragen, endlich was verstanden, was ich vor zwanzig Jahren schon hätte verstehen können, denke ständig darüber nach und kann mich doch nicht zum Schreiben überreden.

Frau Nettesheim
Woran liegt es?

Trithemius
Am Herzen.

Frau Nettesheim
Wie meinen?

Trithemius
Das Thema liegt mir zu sehr am Herzen und ich sorge mich, es zu versieben, zu versemmeln, zu verkack…

Frau Nettesheim
Trithemius! Ich habe verstanden. Was sind denn das für komische Bedenken? Sie sind doch sonst nicht so zimperlich.

Trithemius
Vielleicht liegts daran, dass ich einen kuriosen Schwank voranstellen wollte, aber ich kann ihn einfach nicht sinnvoll verknüpfen. Außerdem reizt es mich, ihn aus der Sprache des 17. Jahrhunderts in heutiges Deutsch zu übertragen. Wollen Sie mal hören?

Frau Nettesheim
Ja! Aber lassen Sie dem Schwank den Charme des Altertümlichen!

Trithemius
Ein Bauernsohn lässt einen Ring machen

Indem wir da beim Barbier waren, erzählte ein Jubilierer oder Goldschmiedegesell ein artig Stücklein: Es sei vor vierzehn Tagen ein Bauernknecht zu seinem Herrn gekommen, der mit ihm um einen Ring einig geworden. Der Bauernknecht habe auch begehrt, diese Worte draufzustechen: „Ich Schulze Hänsel hab Gretle lieb, sie mich auch, so mein ich.“ Da nun der Bauer wiedergekommen sei, den Ring abzuholen, habe ihm sein Herr die Worte vorlesen müssen: „Ich Schulze Hänsel hab Gretle lieb“ usw. Das Bäuerchen aber sei zornig geworden, weil der Herr gesagt: „Ich hab Gretle lieb.“ Dann sagte der Bauer: „Du hast sie nicht lieb, ich hab Gretle lieb.“ Der Herr habe des Gecken gelacht und versprochen, die Worte anders und nach seinem Begehr zu setzen, aber Schulze Hänsel müsse etliche Viertel Weizen weitergeben. Heute sei er wiedergekommen, da ihm sein Herr die Worte so vorgelesen: „Du Schulte Hänsel hast Gretle lieb, sie dich auch, so meinst du.“ – „Jetzt ist es recht“, sprach er und lieferte den versprochenen Weizen. (Aus: Gepflückte Fincken oder Studenten-Confect; Frankenau 1667; in: Petzoldt, Deutsche Schwänke, Stuttgart 1979)

Frau Nettesheim
Hihi. Ein herrliches Lesefrüchtchen! Jetzt, wo Sie das Confect ausgeteilt haben, können Sie hoffentlich endlich Ihren Text schreiben.

Dieser Beitrag wurde unter Frau Nettesheim abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

7 Kommentare zu Frau Nettesheim hört sich einen Schwank an

Schreibe einen Kommentar zu trithemius Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.