Abendbummel online – Prima limmern mit Fischer & Putzig

Die Biobäckerei an der Limmerstraße hat drei gekachelte Fensterbänke. Die links und rechts des Eingangs sind breit und zum Sitzen recht bequem, die dritte aber schmal. Man hockt darauf wie ein „ääpche op em päckche tabak“, wie der Landkölsche sagt. Einen besseren Sitzplatz gibt es gerade nicht. Ich habe drei Flaschen Kölsch im Rucksack neben mir und warte auf Herrn Leisetöne. Anders als ich beherrscht er die Kunst, mit einem beliebigen Gegenstand den Kronkorken von einer Flasche zu schnipsen. Ich will mit ihm auf die ersten 500 Downloads von „Nachtschwärmer online“ anstoßen. (Aktuell 1091 Downloads am 09.04., 17:00 Uhr)

Derzeit kann man über den erwachten Frühling allerlei Martialisches hören. „Die Blüten explodieren“, verkündete jüngst Martina Eßer, die Moderatorin der Kölner „Aktuellen Stunde“. Das klingt nach Selbstmordattentat. Aber nein, dass die Natur explodiere, ist die metaphorische Umschreibung für die gefühlte Plötzlichkeit des Vorgangs. Die Knospen der Bäume entlang der Limmerstraße explodieren nicht wirklich. Allerdings: vor einer Woche waren sie noch nicht zu sehen. Es geht leise voran in den Bäumen. Es ist eher, als würde man morgens die im Schlaf verklebten Augen öffnen. Wenn die Blätter entfaltet sind, was bietet sich den Bäumen für ein Bild? Alles ist wie im letzten Jahr an warmen Abenden. Die Limmerstraße ist voller Menschen. Es brummt von tausend Stimmen. Die Flaschensammler kreisen und belauern die Biertrinker, Straßenbahnen der Linie 10 ziehen stoisch ihre Lichter durch die Frühlingsnacht. Die Mädels tragen wieder Leggins, Jeggins oder schwarze Strumpfhosen mit sinnverwirrenden heißen Jeanshöschen darüber. Eine neue Frühjahrsmode ist nicht zu erkennen. „Was ist, wenn sich die Mode gar nicht verändert?“, fragt Leisetöne, der inzwischen eingetroffen ist. Schon möglich. Die erbärmlichen Hüfthosen beleidigen ja auch schon über ein Jahrzehnt das Auge des Ästheten.

Eine Bank wird frei, wir eilen hin. Leisetöne trifft Sekunden vor einer fünfköpfigen Gruppe ein, gibt dann aber klugerweise nach. EINE HORDE BEDROHE NIE: Die unbestreitbare Weisheit dieses Palindroms kann Leben retten. Wir retten uns wieder auf die unbequeme Fensterbank. Kurz darauf wird gegenüber eine Bank frei, auf der wir uns breitmachen können.

Da kommt auch Herr Putzig. Er ist bester Laune und lacht leise schnarrend. Es wird ein Abend der freien Themen sein, ganz nach seinem Geschmack. Jüngst haben Leisetöne (Konrad Fischer), Filipe d’ Accord und ich in unserer Stammkneipe „Vogelfrei“ auf Anregung von Herrn d’Accord das „Hannover Cünstler Kollektiv (HaCK) gegründet. Herr Fischer ist Schriftführer und erledigt seine Aufgabe gewissenhaft. Putzig aber musste zur Mitgliedschaft gepresst werden wie einst die englischen Matrosen zur Marine ihrer Majestät. Vor allem stört ihn die durch den Verein bedingte Verengung unserer Themen, denn Herr Putzig ist ein universell interessierter Mann und nennt sich zurecht „Magister der Weltweisheit“. Heute Abend stellt er ein neues Spiel vor. In Zahlen aus dem Alltag versucht er immer Jahreszahlen zu sehen und dann aus dem Stand zu benennen oder zu eruieren, was just in diesem Jahr Wichtiges passiert ist. Aus dem Internetschach, genauer der ELO-Zahl, isolieren sie das Jahr 1504. Herr Fischer und Herr Putzig haben einiges dazu auf dem Schirm, wie man neudeutsch sagt, was ich aber schon wieder vergessen habe, also nicht das Neudeutsche, sondern wer um das Jahr 1504 wem in die Suppe gespuckt hat. Herr Fischer weiß etwas über einen Mönch namens Luther. Keine Ahnung, wer der Kerl war. Also, das weiß ich schon, Konrad Fischer ist Herr Leisetöne und so gut wie kein Mönch. Eher im Gegenteil. Mir scheint, er verwildert grad ein bisschen, seitdem er Strohwitwer ist. Herr Putzig sagt: „1504 – Götz von Berlichingen bekommt seine eiserne Hand.“ Leck mich fett! Wollte ich auch schon immer mal wissen! (Entschuldige das Wort „fett!“)

Vor uns parkt einer sein Auto mit laufendem Motor, um Geld am Automaten der Postbank zu ziehen. Auf dem Nummernschild steht 19 03. „1903 – Orthographische Konferenz, bei der die Dudenorthographie amtlich wurde“, sage ich, froh endlich mitreden zu können. Auf lexikalisches Wissen gebe ich nicht viel. Sich Jahreszahlen und Ereignisse zu merken, ist zu nichts wirklich gut, taugt allenfalls als Gedächtnistraining. Herr Putzig freilich hat ein ulkiges Verhältnis zu Zahlen. „Wenn ich etwas in den Kühlschrank stelle“, sagt er, „dann schaue ich mir das Verfallsdatum an, und wenn beispielsweise einer sagt, wir treffen uns am 18.4., dann weiß ich, da war doch irgendwas.“ Ich ergänze: „Und sagst, dann kann ich nicht, am 18.4. läuft mein Joghurt ab.“

Guten Abend

(Abendbummel online aus den Jahren 2005 – 2013 als E-book)

Musiktipp
George Ezra
Budapest (Live at Studio Brussel)

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10 Kommentare zu Abendbummel online – Prima limmern mit Fischer & Putzig

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