Wundern hoch drei – Mein surrealer Alltag

Wie ich auf meiner Couch liege und ein bisschen aus dem Fenster hinaus in den Himmel träume, wundere ich mich plötzlich über so viele Dinge, über die Form meiner Zimmerdecke, über die kahlen Zweige draußen, die gegen den Himmel wie Gestrüpp aussehen, das ich gerne kämmen wollte, über meine Couchlehne, die links von mir aufragt wie die chinesische Mauer, dass vom Computer her die Musik, die Jingles und das flämische Gerede von Studio Brussel sinnlos weitertönen, weil eine Totmanntaste fehlt, obwohl ich längst nur Ruhe will, aber zu faul bin aufzustehen.

Vor allem wundere
ich mich über die Form der Wahrnehmung und überhaupt über meine Existenz als Mensch mit ulkigen Extremitäten wie Händen und Füßen und seltsam geformten Ohren, dass man die knorpeligen Schneckenwindungen der Ohren überhaupt schön finden kann, dass man Kategorien hat und schöne von hässlichen Beinen beispielsweise unterscheiden kann. Und ich wundere mich darüber, dass sadistische Modemacher beschließen können, die Oberschenkellücke bei Frauen (thigh gap) zum Schönheitsideal zu erheben. In der Stadt hatte ich mich gewundert, wie viele junge Mädchen bei diesen Temperaturen mit Leggins und Kurzjacken herumlaufen, als wäre die Strumpfhosenbande aus der Kita ausgebrochen. Ich wundere mich, dass diese Frauen eine Blasenentzündung riskieren, nur um auch im Winter ihre blöde Oberschenkellücke vorzuzeigen. Ich will da gar nicht durchgucken können, vor allem nicht, wenn die tief stehende Sonne blendet.

Zuletzt wundere
ich mich über mich, dass ich mich wundere über all diese Dinge, die doch zur Selbstverständlichkeit meines Alltags gehören. Ich wundere mich über meine Verwunderung mein Leben betreffend, über meine Verwunderung über dieses Wundern und dass da wohl auch noch eine Kategorie des Denkens möglich ist, die sich über die gesamte Verwunderung des Wunderns wundern kann und die es mir ermöglicht, über alles zu schreiben.

Wenn wir davon ausgehen, dass wir allesamt auf der Ebene der schriftlichen Reflexion miteinander verkehren, dann bildet sie die Metaebene, von der wir auf die anderen Ebenen des Denkens hinunterschauen. Ganz unten im Kellergeschoss ist das Wundern über die Welt angesiedelt. Es ist das magische Denken des fragenden Kleinkinds. Auf dem Parterre finden wir das Denken der Jugend, die die Lippen verächtlich schürzt über die Banalität des Alltags und glaubt, die Welt verstanden zu haben, aber doch eine Riesenlücke zwischen den Ohren hat. Auf derselben Ebene stehen die Stammtische. Hier sitzen die Erwachsenen, die ihre Rolle im Leben so verinnerlicht haben, dass sie weder sich noch ihre Sicht der Welt in Frage stellen. Da geht es nach hinten raus zu den geistigen Kleingärten, wo die Leute sich aufhalten, die der Welt gern ihre Ordnungsvorstellungen aufzwängen wollen. Was sie für gut befunden haben, daran soll sich das Denken aller orientieren. Die weitläufige erste Etage ist für die Mainstreamdenker. Hier siedeln auch die Effizienten, die erfolgreichen Pragmatiker, die Fernsehphilosophen, die Experten und Fachgrößen.

Dachterrasse ist leicht. Da schwärmen die Freidenker umher. Aber was ist im Obergeschoss, ja was ist im zweiten Obergeschoss?

Gerade habe ich keine Lust mehr, das Bild noch weiter auszubauen. Ich wundere mich nämlich über meinen Text, wundere mich, dass ich ihn veröffentliche, obwohl er mein authentisches Wundern kaum wiedergibt, wundere mich grad so über das Internet, wundere mich über mein Teppichhaus, und wundere mich vor allem, dass es um 17 Uhr schon zappenduster ist, und keiner sagt was dagegen.

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