Zwei Anrufe im Omnibus

Im vollbesetzten Bus der Linie 100 telefonierte einer. „Reg dich nicht auf, Schatz, am 9. kommt die Fußbodenheizung rein.“

Ich fragte meine Sitznachbarin: „Wann kommt die Fußbodenheizung rein?“

„Ich weiß nicht“; sagte sie, weil sie offenbar in Gedanken gewesen war.

„Am 9.“, sagte der Mann, der neben uns im Gang stand.

„Wieso erst am 9.?“, fragte die Frau mit Kinderwagen.

Da schaltete sich die Busfahrerin ein, blies ins Mikrophon und tönte: „Ich finde es auch knapp, so kurz vor Weihnachten. Kein Wunder, dass Frau Schatz in Panik gerät.“

Alle guckten Herrn Schatz an, der rasch sein Smartphone wegsteckte und sich im Sitz aufrichtete: „Ich heiße überhaupt nicht Schatz!“

„Aber Ihre Frau!“, sagte ich.

„Nein“, sagte er, „ich nenne sie nur Schatz. Ein Kosenamen!“

„Nennt sie Schatz und mutet ihr kurz vor Weihnachten so einen Dreck zu!“, sagte die Frau mit Kinderwagen kämpferisch.

„Ja, genau!“, rief ich. „In der Adventszeit will Frau es doch gemütlich haben und Plätzchen backen!“

„Und keine staubigen Handwerker mit dreckigen Schuhen im Haus haben“, pflichtete der Mann im Gang mir bei.

Handwerker mit dreckigen Schuhen oder Handwerkerinnen mit dreckigen Schuhen!“, korrigierte Frau Kinderwagen, „soviel Zeit muss sein!“

„Wieso sollte nur die Frau immer Plätzchen backen?“, fragte meine Sitznachbarin jetzt auch noch keck. „Sie haben ja altmodische Vorstellungen.“

„Wieso ich? Herr Schatz ist es doch, der sich nicht um die Plätzchenbäckerei kümmert, sondern kurz vor Weihnachten noch eine Fußbodenheizung einbauen lässt.“

„Soll meine Familie Weihnachten denn frieren?“, fragte Herr Schatz, der ganz anders hieß, aufgebracht.

„Das hätten Sie sich auch früher überlegen können!“, sagte Frau Kinderwagen.

„Aber die Finanzierung war vorher nicht gesichert“, sagte der Schatz kleinlaut.

Da tönte die Busfahrerin über alle Lautsprecher im Bus: „Wer im Sommer nicht spart, dem ist der Winter zu hart!“

„Äsop“, murmelte der graumelierte Herr im teuren Mantel.

„Das hat sie wohl eher aus einer Fabel von La Fontaine“, sagte Herr Schatz, der froh war, von sich ablenken zu können. „Die Heuschrecke fiedelt den ganzen Sommer und …“

„Ich wüsste nicht, dass unser Oskar Fabeln geschrieben hätte“, mischte sich jetzt der Mann in Anstreicherhose ein.

„Mischen Sie sich nicht ein, sondern lieber Farbe“, sagte Frau Kinderwagen spitz, „Herr Schatz meint nicht Ihren Oskar Lafontaine, sondern den französischen Heuschreckendichter Jean de La Fontaine.“

„Und backen Sie besser Plätzchen, aber das können Sie Kampfemanze vermutlich nicht!“, sagte der Anstreicher.

„Ich kann Ihnen aber eine langen“, sagte Frau Kinderwagen, „Macho, Frechdachs, Banause und wer weiß was!“

„Ruhe im Bus!“ herrschte die Busfahrerin, „sonst halte ich die Luft an, bis ich blau im Gesicht bin.“

„Der Mann hat angefangen!“, riefen alle und zeigten auf mich.

Das Telefon von Herrn Schatz klingelte wieder.

„Schatz“, meldete er sich, „jetzt hör auf, im Bus rumzunerven! Die Heilige Familie hatte auch keine Fußbodenheizung!“

Das war ein ganz neues Argument, dem ich mich gern gewidmet hätte. Leider fiepte mein Smartphone Wecker und ich musste aussteigen, äh, aufstehen, um den Bus zu kriegen.

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