Ich wäre so gern Vorsitzender meiner selbst

In China gibt es manches, was es bei uns nicht gibt. Umgekehrt ist es natürlich genauso. In China gibt es beispielsweise den Spruch nicht:

„Was kümmert mich, ob in China ein Sack Reis umfällt“.

Jedenfalls habe ich gehört, dass man sich in China die Kopfhaare zählen lassen kann. Die Zahl ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Rothaarige haben etwa 90.000 Haare, Blonde bis 140.000. Täglich fallen etwa 60 bis 100 Haare aus. Wenn du dir also in China die Haare zählen ließest, hättest du die gültige Zahl für einen Tag.

Dass Haare eine Wurzel haben, weiß man. Doch was eine Wurzel genau ist, habe ich eigentlich erst gemerkt, als mir einmal ein Zahnarzt eine Wurzelbehandlung verpasst hat. Wie der da mit einer Sonde in meinem Zahn rumgebohrt, das hatte etwas ziemlich Brutales. Ich konnte ihn förmlich keuchen hören, weil es offenbar anstrengend ist, so eine Wurzel zu ermorden oder immerhin abzutöten. Der hat nicht locker gelassen, bis die Wurzel mausetot war. Und mittendrin in diesem Mordgeschehen, das der Arzt unbedingt hat durchziehen wollen und für das ich mein Einverständnis gegeben hatte, indem ich das Maul aufgemacht hab, jedenfalls mitten in diesem durchaus unerfreulichen Akt, da dachte ich: eine Zahnwurzel lebt. Sonst müsste sie ja nicht behandelt werden, was ja nur der Euphemismus für abtöten ist. Jede Wurzel an deinem Körper lebt. Sie führt ein Eigenleben, schiebt ein Haar oder einen Fingernagel aus deinem Körper, hält einen Zahn bei Laune …

Und wenn du weiter nachdenkst, so in den Bereich des Mikroskopischen, da lebt noch viel mehr in dir. Eigentlich bestehst du ja komplett aus Zellen, und diese Zellen leben, teilen sich, sterben ab usw.

Da denkst du, du weißt, wer du bist, hast Arme, Beine, einen Kopf – und in der Mitte was, wo alles dran montiert ist, und du denkst, das bin ich. Du stehst morgens auf, versorgst dich, fährst vielleicht wohin und arbeitest, triffst mal die und den, kaufst dir nach Feierabend Arbeitshandschuhe und hantierst damit im Garten rum, freust oder ärgerst dich, und wenn du alles zusammen nimmst, kannst du sagen: Das ist mein Leben. Nur, eigentlich bist du ein ganzer brodelnder Verein von Leben. Voller Leben sein, so betrachtet, kriegt es eine ganz andere Bedeutung, findest du nicht? Vor allem: Wer hat eigentlich das Sagen in diesem Verein?

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