Endfertig aus Düsseldorf

Aus einer Reihe von Gründen bin ich ungern in Düsseldorf. Aber als ich am Samstag von Aachen zurück nach Hannover fahren wollte, ging die günstigste Verbindung über Düsseldorf, also nahm ich die. Ein Fehler. Dort umsteigen vom RE in den ICE. Ich hatte noch Stunden zuvor reserviert und fand einen schönen Platz. Da stieg eine junge Frau ein und fragte: „Was heißt denn: „Gegebenenfalls freigeben“? Bevor ich mir eine Antwort zusammen gestruddelt hatte, kam sie selbst drauf. Dass die Plätze eventuell reserviert sind, die Bahn aber unfähig ist, späte Reservierungen anzuzeigen. Leider setzte sie sich direkt hinter mich und begann zu telefonieren.

Sie war auf einem Seminar in Düsseldorf gewesen, hatte bei einer Freundin auf der Couch kaum gepennt, weil im Wohnzimmer keine Verdunklungsmöglichkeit war. Und das Seminar wär so anstrengend gewesen. Sie sei wirklich „endfertig“. Dabei müsse sie am Abend noch zum Geburtstag ihres neuen Freundes. Das wäre ihr SO wichtig, obwohl sie sich lieber ins Bett legen würde. Ich weiß die Einzelheiten so genau, weil ich den Jammer mir zweimal anhören musste. Beim zweiten Telefongespräch sagte sie noch, dass der neue Freund angeboten hätte, für sie einzukaufen. Sie finde das sooo süß! Aber sie habe abgelehnt, sie könne noch selbst für sich einkaufen. Das gehe ihr alles zu schnell. Und protestierte: „Nicht schnell, wenn sechs von acht Geburtstagsgästen ‚Verwandtschaft’ sind?!“ Sie wäre so endfertig, aber müsse doch am Abend „schön sein“.

Da ahnte
ich schon, dass sie nicht allein aus den genannten Gründen „endfertig“ war, sondern einen grippalen Infekt im Leib hatte und von Düsseldorf nach Bielefeld trug. Ich ahnte es nicht nur, sondern roch auch ihren heißen, kranken Atem, weil sie sich wohl beim Telefonieren vorbeugte und in die Ritze zwischen Vordersitz und Fenster sprach. Da ihr andauerndes Endfertig-Klagelied mir noch im Ohr ist und mich hindert, einen klaren Gedanken zu fassen, gestatte ich mir, mich selbst zu zitieren: „Es ist eine archaische Form des Mittelungsdrangs. Irgendwann in grauer Vorzeit haben Viren und Bakterien nur jene Wirte überleben lassen, die das Bedürfnis haben, auch die übelste Pestilenz mit anderen zu teilen. Auf diese Weise wurde der Mensch zum Sozialwesen.“

Letztlich ist der soziale Mensch also von Krankheitserregern gesteuert. Aus Düsseldorf teilte sie jedenfalls ein heftiges Virus mit. Es überfiel mich direkt, machte Schluckbeschwerden, dann krasse Hals- und Kopfschmerzen, Husten, Schnupfen, und weil ich deshalb die heutige Geburtstagsfeier meines Freundes Leisetöne verpasse, hoffe ich inständig, dass da in Bielfeld die schöne Jammertante, ihr eilfertiger Freund samt sechsköpfiger Verwandtschaft ebenfalls in den Seilen hängen.

Nebenher: Was heißt eigentlich „endfertig“ Ist das der neue Superlativ von fertig? Fertig, fertiger, endfertig (bei Virusinfekt)?

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