Von der Tücke der Objekte, besonders der Badelatschen

Vorweg will ich die Badelatschen loben, denn sie waren ein Geschenk. Und ich will nicht undankbar sein. Sie sehen schön aus und wenn ich sie mit Ruhe und Bedacht behandele, erfüllen sie ihren Zweck perfekt. Aber leider bin ich ein ungeduldiger Mensch. Ich will den Objekten, die mir dienen sollen, nicht zu viel Aufmerksamkeit, vor allem nicht zu viel meiner Lebenszeit schenken. Es ist schließlich so: Meine Badelatschen beispielsweise werden mich gewiss überleben, denn sie sind aus unverwüstlichem Kunststoff. Ich hingegen bin aus biologisch abbaubaren Material, das schon unmittelbar nach meiner Geburt mit dem Abbau seiner selbst begonnen hat. Folglich erwarte ich von Objekten, die mir dienen sollen, selbst aber schier unverwüstlich sind, dass sie spuren und mir keine Lebenszeit stehlen.

Ich weiß nicht, ob Latschen-Ingenieure, Designer oder ungelernte Schuhmacher meine Latschen entworfen haben. Jedenfalls denke ich mir, wenn man Latschen machen kann, die sich stets gegen den Willen ihres Nutzers verhalten, die quasi die Verkörperung von Murphys Gesetz sind, nach dem schief geht, was schief gehen kann, wenn man solche Latschen machen kann, die nie und nimmer das tun, was ich will, müsste man auch das komplette Gegenteil gestalten können. Aber vermutlich sind solche mitdenkenden Latschen unerschwinglich.

Badelatschenblues

Nach dieser langen Vorrede jetzt etwas konkreter: Die Latschen stehen neben meinem Bett. Ich will sie mit dem Fuß wegschieben, um barfuß aufzustehen. Einer rutscht zur Seite, der andere aber überschlägt sich und bleibt mit der Sohle nach oben liegen. Ich gebe ihm noch einen Tritt. Er dreht sich, legt sich jetzt aber auf den anderen Latschen als wollte er ihn begatten. Also muss ich mich nach den beiden bücken, sie aufnehmen und zur Seite stellen. Wie sie auf den Boden auftreffen, schnellt einer hoch und landet ein Stück weiter, natürlich nicht parallel zum anderen, sondern in Spreizfußstellung, so das ich, jetzt vollends ungeduldig, mit dem linken Fuß drauftrete, aber mit der halben Fußsohle, was weh tut und mich stolpern lässt. Wenn ich die Latschen aber anziehen will, sind sie weit unters Bett gerutscht, so dass ich mich über Gebühr nach ihnen bücken muss und mir glatt schwindlig wird so vor dem ersten Kaffee. Hineinschlüpfen mit dem Fuß kann ich nicht. Ich muss den Latschen vorne fixieren, gegen ein Stuhlbein etwa drücken, damit er meinen Fuß überhaupt hineinlässt. Ist der Fuß aber drin, lässt der Latschen ihn nicht mehr raus, saugt sich beharrlich an meinem Spann fest.

Abenteuer in der eigenen Hose

Weil ich eine ganze Zeit nach dem Schlag recht ungeschickt war, ist mir die Tücke der Objekte besonders aufgefallen. Hosen beispielsweise, Hosen! Für deren Tücke gibt es einen frühen Beleg. Samuel Pepys schreibt am 6. April 1661 in sein Tagebuch: „Mr. Townsend erzählte mir ein Missgeschick, dass er nämlich kürzlich mit beiden Beinen durch ein Hosenbein gestiegen und so den ganzen Tag herumgelaufen ist.“
Ich habe mir das Zitat herausgeschrieben, damals, als die Dinge mir noch gehorchten, weil mir die Sache so absurd erschien. Doch was muss ich sagen? Seit Wochen bietet sich mir bei jeder Umkleide das falsche Hosenbein an. Und irgendwie fehlt mir die spleenige Souveränität, den ganzen Tag so herumzulaufen wie dieser Mr. Townsend.

Zwischenfall mit einem Stuhl

Bei den Mahlzeiten sehe ich einen Schlosser aus dem Ruhrgebiet, einen Koloss von Mann, der einen gewaltigen Bauch vor sich herschiebt, groß und kugelig wie ein Sitzball. Erstmals tauchte er in der Sporttherapiegruppe auf, wo er sogleich ungefragt herumtönte, warum er so fürchterlich dick wäre, quasi als Legitimation für sein Schnaufen und Stöhnen. Er habe vor ein paar Jahren wegen einer Vergiftung im Krankenhaus gelegen und da 45 Kilo zugenommen. Auch die anderen Pfunde wären ihm ohne eigenes Zutun tückischer Weise an den Leib geflogen und hätten sich festgesetzt. Ich habe vergessen wie, es lag aber nicht an den Drüsen. Seine wortreiche Erklärung mochte ich gar nicht hören. Er stahl uns nur die Zeit. Sie war sowieso gelogen, wie ich zuerst vermutete, später aber im Speiseraum sah, wo er sich gewaltige Portionen einverleibte. Als er einmal schnaufend mit seinem vollgeladenen Tablett vom Buffet herankommt und droht, sich an meinem Tisch niederzulassen, schiebe ich meinen Stuhl nach hinten, um zu gehen. Denn ich habe keine Lust, mir seine lauthals verkündeten gestiegenen Blutzuckerwerte anzuhören, derweil er einen kleinen Eimer Marmelade vertilgt. Ich schiebe also den Stuhl nach hinten. Aber auch Stühle machen längst nicht mehr, was ich will. Er hakt zunächst in den Fugen der Bodenfliesen, so dass ich stärker rücke. Da schnellt er nach hinten, dem Dicken in die Beine, der aber nur „WAS…?!!!“ ruft und über einen frisch am Nebentisch geparkten Rollator stolpert, weil er sein Tablett balanciert und es keinesfalls fallen lassen will. Auf dem Rollator steht aber auch ein Tablett. Eine ungefüge, verlebte Blondine, die sich kleidet wie eine kleine Maus und immer beteuert, sie sehe jünger aus als sie sei, hat geglaubt, mit dem Rollator könnte sie gefahrlos ihr Frühstückstablett befördern und hätte gleichzeitig noch eine Stütze für sich. Deren Frühstückstablett kippt, schlägt hoch, dem Dicken ergießt sich der Kaffee auf die Hose, weshalb er, der sich gerade gefangen hat, grunzt wie ein abgestochenes Schwein. Kann ich verstehen. Auch ich hasse Kaffee auf der Hose, besonders heißen Kaffee. Unverständlich bleibt aber, warum der Dicke jetzt doch noch strauchelt und fällt und zwar bäuchlings auf den Nebentisch, da alles plattwalzt und hinwegfegt, was die vier entsetzten Leute rundum den Tisch eigentlich hatten essen und trinken wollen. Tabletts scheppern, Geschirr klirrt, Teller,Tassen und Gläser zerschellen am Boden, Marmelade, Schinkenwurst und Käsescheiben liegen im Gemenge aus Joghurt, Marmelade, Kaffee und Orangensaft und mittendrin in der Sauerei wälzt sich der Dicke und hat ein hartgekochtes Ei im Mund, auf der Stirn klebt eine Scheibe Schinkenwurst. So also fliegen die hundsgemeinen Kilos ihn an!

Ich bringe mein leeres Tablett weg. Ein Blick hat genügt, mich von jeglicher Schuld freizusprechen: Er trägt Badelatschen.

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