Können Tester eigentlich lachen?

Die Klinik liegt wie ausgestorben. Die meisten Patienten sind nach Hause gefahren, das Personal hat frei bis auf die wenigen mit Wochenenddienst. Weißkittel, die die weitläufigen Häuser sonst wie Geister durchstreifen, sind nicht zu sehen. Krankheit, Diagnostik und Therapie haben Pause. Dafür ist der Raum mit den Waschmaschinen und Trocknern rund um die Uhr geöffnet. Aus dem Waschraum dröhnen zwei Maschinen mit meiner Wäsche. Vor einigen Tagen habe ich schon einmal wartend auf diesem Flur gesessen. Da durften aber keine Maschinen lärmen. Hier sind nämlich die Psychologen beheimatet. Damals ging eine attraktive Psychologin mit mir in den Raum gleich nebenan, um meine Konzentrationsfähigkeit zu testen. Zuvor hatte ich über den Hinweiszettel am Waschraum gegrübelt.

„Wasch- und Trocknerraum“

steht da. Diese Sprachverwendung ist allerdings zu tadeln. Was ein Trockner ist, kann ich mir denken. Gehe ich in ein Elektrogeschäft und verlange einen Trockner zu kaufen, wird man mir ungefähr 500 Gerätetypen zeigen, die allesamt mit dem Anspruch daher kommen, nasse Wäsche „bügelfeucht“, „schranktrocken“, „kross“ oder „knüsselig“ zu machen. Sage ich aber: „,Guten Tag, ich suche eine Wasch für meinen Trocknerraum!“, dann wird jeder Ladenschwengel flugs zum Sprachpfleger und mich korrigieren: „Meinen Sie eine Waschmaschine, auch Waschvollautomat genannt?“ Einer mit Humor wird sagen: „Aha, Sie meinen eine Waschmasch!“, also wenn er zu den Leuten gehört, die„Tanke“ statt „Tankstelle“ sagen. Eine „Wasch“ kennt nämlich keiner, folglich darf es nicht „Wasch- und Trocknerraum‘ heißen, wenn das Schild einen Raum kennzeichnet, in dem sich Waschmaschinen und Trockner befinden. Da wäre Waschmasch- und Trocknerraum“ die kürzeste Variante.

Falls jemand
einwenden möchte, dass „Waschraum“ ein bestens eingeführtes Kompositum ist, gebildet aus dem Verb (waschen) und dem Substantiv (Raum), gebe ich zu bedenken, dass aber Trocknerraum aus zwei Substantiven gebildet ist und somit nicht mit Waschraum per Auslassungsstrich verbunden werden darf. Vergleichbar zu Waschraum (Verb im Imperativ (wasche) )+ Substantiv (Raum)) müsste es heißen „Trockneraum“ (Verb im Imperativ (trockne) + Substantiv (Raum)), also nicht „Trockner+ Raum, sondern Trockne+Raum.

Einer der beiden Waschvollautomaten beginnt zu heulen. Der zweite stimmt ein. Die mögen wohl auch keine Grammatik. Hört sich an, als wollten die beiden mit meiner Wäsche zum Mond abhauen. Aber ich mache mir keine Sorgen. In der Reha-Klinik lässt man sich jede Sonderleistung teuer bezahlen, so auch die Waschmarken zu drei Euro. Das reicht gewiss nicht für eine Mondfahrt meiner Wäsche. Für drei Euro kann man meine Wäsche nicht zum Mond schicken, beim besten Willen nicht. Aber wie die Maschinen heulen und flattern. Ich versteh ja mein eigen Wort nicht!!! Also kurze Pause, bis die Maschinen sich wieder beruhigt haben – und nochmal von vorn:

Die Psychologin,
die mich vorm Waschraum weg zum Konzentrationstest abholte…
Oder besser so: In der Rehaklinik bekommt man einen Stundenplan. Da ist verzeichnet, wann man sich wo einzufinden hat, zu welchem Zweck und welches Mensch, mit „Herr“ oder “ Frau“ und Nachnamen genannt, einen dort erwartet. Die Therapeuten tragen allesamt blaue Kurzkittel, damit man sie nicht mit Patienten verwechselt. Die Psychologin aber, die mich vorm Waschraum weg zum Konzentrationstest abholte, trug eine weiße Leggins mit breiten schwarzen Längsstreifen und ein ärmelloses Oberteil. Quasi als Tribut für die individuelle Kleidung hieß sie auf meinem Plan schlicht: „Tester 4“. „Tester 4“ stellte sich mir freilich mit ihrem Namen vor, den ich aber aus Verwirrung ob ihrer Schönheit nicht mitbekam. Ich fragte provokativ, indem ich neben ihr am Testcomputer Platz nahm: „Sie sind also Tester 4?“ „Ja“, sagte sie schlicht, ohne die Ironie zu bemerken.

Nach dem
Test fragte sie mich nach meinem Befinden und ob er anstrengend gewesen wäre. Ich sagte: „Nee, es war schön!“
„DAS hat mir noch keiner geantwortet“, sagte sie.
Komisch, sind denn alle nicht nur lahm, sondern auch blind? Sie hatte mir auch so herrlich vorgesungen, um zu demonstrieren, dass mich verschieden hohe Töne erwarteten: „hoch“ „tief“, ein unglaublicher Service, den man sonst nur aus der Sesamstraße kennt, wenn Grobi die Begriffe „vorn“ und „hinten“ erklärt und dabei nach vorn und hinten rast. Das und ein hoch gesungenes „Hoch“ ist quasi mehrfachkodiert, damit es auch jeder Blöde kapiert. Jetzt verstand ich auch, warum Tester 4 keinen Namen hatte. Es wäre zu viel aufregende Information für meine wenigen Aufnahmekanäle gewesen. Mit Frauennamen verbindet man ja Konnotationen, positive wie negative, und die könnten zu einer Verfälschung der Testergebnisse führen.

Ich sitze also
vor dem Waschmasch- und Trocknerraum, warte darauf, dass die Waschmaschinen sich beruhigen und die Klappe aufmachen, damit ich meine nasse Wäsche in den Trockner stopfen kann. Tester 4 ist nicht da. Die ganze Abteilung ist psychologisch verwaist. An der Tür zum Testraum hängt ebenfalls ein Schild. „Bitte nicht eintreten!“ steht da. Ich stelle mir vor dieses Schild zu verbessern. Dazu bräuchte ich nur zwei weiße Klebeschildchen, die ich leider nicht habe. Beispielsweise würde ich „ein“ überkleben. „Bitte nicht treten!“ ist doch eine Bitte, gegen die niemand etwas haben könnte. Wenn Tester 1 bis 4 wieder zum Dienst erscheinen, ob sie wohl über meine höfliche Bitte leise schmunzeln könnten oder sogar wie ich irre lachen? Hehehehe!!!! Was wenn ich auch noch das “nicht“ überkleben würde? „Bitte treten!“ würde vermutlich die Sitten verderben. Wenn ich freilich darunter schreiben würde: „Bitte dAdA reintreten!“, wäre es Kunst, hehe. Aber können psychologische Tester eigentlich lachen? Dürfen sie überhaupt? Müssen sie nicht vorher durchgegendert werden? „Durchgegendert? Huh, das kitzelt, Herr Doktor!“

Dann lach doch!

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