Cool! Geil nach der Beichte

Der Comedian Jürgen von der Lippe wurde in einer TV-Sendung auf WDR 3 gefeiert. Man sah ihn mit Bühnenauftritten aus all seinen Lebensphasen. Von der Lippe ist in seiner Jugend Messdiener gewesen und erzählte auch von seinen Erfahrungen mit der katholischen Ohrenbeichte: Nach der Beichte – das wäre ein „geiles Gefühl“ gewesen.

Ich kann mich
auch noch gut an die Ohrenbeichte meiner Kindheit und frühen Jugend erinnern. Tatsächlich fühlte man sich nach der Absolution wie frisch gewaschen. Ein erhebendes Gefühl der Läuterung durchpulste einen, nur „geil“ war das Gefühl ganz und gar nicht. Geile Gefühle hätte man sofort wieder beichten müssen. Sie waren unkeusch, fielen unter das 6. Gebot. Denn „geil“ war ein Tabuwort und so eindeutig sexuell zu verstehen wie kein zweites.

Einmal waren
Freunde und ich in Bacharach am Rhein. Dort lernten wir irische Mädchen kennen, die auf eine katholische Nonnenschule gingen und auf Klassenfahrt waren. Sie sprachen kein Wort Deutsch. Mein guter Freund Föppes nutzte diese Unkenntnis und brachte seinem Mädchen bei: „Ich bin geil!“ zu sagen. Die anderen lernten es auch, obwohl sie nicht wirklich geil waren. Die mir zugetan war, sah aus wie die jüngere Schwester der Sängerin Julie Driscoll, aber sie bremste mich mit den Worten: „I don’t like kisses with the tounge!“ Zungenküsse hatten die Nonnen vermutlich verboten, weil zu geil. Die kannten sich aus. Nachdem uns die prüden Mädchen ein paar Tage mit „Ich bin geil!“ begrüßt hatten, kamen sie eines Morgens daher und sagten, sie dürften es nicht mehr sagen. Die Nonnen hätten ihnen erklärt, was „Ich bin geil!“ bedeutet.

Sie werden nicht gesagt haben, geil wäre das Gefühl, das einen guten Katholiken nach der absolvierten Beichte durchströmt und beseelt, wie Herr von der Lippe behauptet. Geil wäre im Gegenteil ein Gefühl, das der liebe Gott verboten hätte, weil’s einfach zuviel Spaß macht. Geil wären die Priester, die in der Beichte ins heftige Atmen gerieten, sobald das sechste Gebot zur Sprache kam, und immer alles genau wissen wollten. Das letzte hätten die Nonnen freilich nicht zu ihren Schülerinnen gesagt, aber vermutlich gedacht, weil genau gewusst.

Das Wort „geil“ hat in den letzten Jahrzehnten einen ansehnlichen Bedeutungswandel erfahren. Seine Herkunft aus dem Botanischen in der Bedeutung von üppig, wuchernd, triebhaft, kennt kaum noch jemand, und auch die Bedeutungsübertragung über triebhaft auf den Sexualbereich schwindet allmählich aus dem kollektiven Bewusstsein. Ähnlich wie irre und toll, was ja eigentlich den üblen Bewusstseinszustand der geistigen Verwirrung meint, ist geil inzwischen ein Attribut zur Steigerung und konkurriert da mit cool, was ja nun das genaue Gegenteil zu sein scheint.


Irre, toll, geil & cool: Julie Driscoll & Brian Auger

Dieser Beitrag wurde unter Schrift - Sprache - Medien abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

8 Kommentare zu Cool! Geil nach der Beichte

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.