Wu wei und die Weisheit meiner Jacke

Als ich heute Morgen ein Ohr zum Fenster rausgehalten und ein Auge hinterher geworfen habe, da wusste ich schon, der autofreie Sonntag fällt ins Wasser. Leider war ich zur Fahrradsternfahrt mit einem flüchtigen Bekannten verabredet, dem ich jetzt absagen musste. Er hatte mir vor einigen Tagen seine Adresse auf ein Zettelchen gekritzelt und darum gebeten, dass ich ihn abhole. Das Zettelchen hatte ich in mein Notizbuch gesteckt. Das Notizbuch war in meinem Rucksack. Den hatte ich nach einer Feier bei Familie Shhhhh aber vergessen, wie ich überhaupt immer etwas vergesse, wenn ich ein bisschen zuviel getrunken habe, und in der vergangenen Nacht habe ich noch ein bisschen mehr als ein bisschen zuviel getrunken. Das hätte gereicht, mindestens zwei Rucksäcke zu vergessen, weshalb ich ersatzweise noch mein Mobiltelefon vergessen hatte. Ich musste also am heiligen Sonntagmorgen bei Familie Shhhhh an der Haustür klingeln, konnte mich aber nicht mal telefonisch anmelden, weil die Telefonnummer ja auf meinem Mobiltelefon gespeichert war, das bei ihnen lag.

Zum Glück wurde ich freundlich empfangen. Man weiß schon, dass ich immer irgendwas vergesse, wenn ich wo eingeladen bin, wie auch die Fleecejacke, die seltsamer Weise an der Garderobe gehangen hatte, denn ich hatte sie im Winter bei einer gemeinsamen Freundin aus der Kochgruppe vergessen. Bei ihr hatte ich mich wegen der Jacke aber nicht gemeldet, damit sie nicht denken könnte, ich hätte die Jacke vergessen, um einen Grund zu haben, sie einmal alleine zu besuchen, wenn also die anderen Mitglieder der Kochgruppe nicht da sind, um aufzupassen. In meinem Alter muss man auf seinen guten Ruf achten. Die Fleecejacke habe ich in der Nacht dankbar angezogen, weil ja der Alkohol die Wärme aus dem Körper zu vertreiben versucht.

Auf dem Zettel aus meinem Notizbuch standen zwar Straße, Hausnummer und ein Name. Den fand ich aber am besagten Haus nicht auf dem Klingelbrett, so dass ich nicht absagen konnte. Ebenso gut hätte ich also zu Hause im Bett bleiben können, denn der flüchtige Bekannte wird mich jetzt für unzuverlässig halten, und was Shhhhh und seine liebe Lebensgefährtin sich so denken, mag ich mir gar nicht ausmalen. Zu Hause kam ich trotz eines mitgeführten Regenschirms durchnässt an und erfuhr aus dem Internet, dass die Stadt Hannover den autofreien Sonntag wegen des Starkregens und einer Unwetterwarnung sowieso abgesagt hat. Ich hätte mir also keine Gedanken machen müssen.

Diese Geschichte von meinem überaus anstrengenden Sonntagmorgen bestätigt mal wieder das taoistische Prinzip des Wu wei, was bekanntlich das Nichthandeln im Sinne von „Enthaltung eines gegen die Natur gerichteten Handelns“ meint. Anders gesagt: Die Dinge werden ihren natürlichen Lauf nehmen und sich fügen ohne eigenes Zutun. Wer jetzt noch zweifelt, dem halte ich zum Beweis mal kurz meine Jacke hin. Genau im rechten Moment hat sie den Weg zu mir zurück gefunden, obwohl ich mich nicht um sie bemüht hatte. Denn ich war davon ausgegangen, es kommt bald Frühling. Meine Jacke wusste es besser.

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