Glänzende Tasten, Goldene Worte und falsches Ö

Ich habe meine Tastatur geputzt. Nicht einfach so mal dröber gewischt, sondern Taste för Taste herausgenommen, an den vier Kanten entlang geputzt und öber das Gesicht gewischt. Nach mehreren Jahren des Gebrauchs war es nötig geworden. Erfreut stelle ich an diesem Sonntagmorgen fest: Der Fröhjahrsputz meiner Tastatur hat sich gelohnt. Er wirkt sich auf alles aus, was ich schreibe. Die Texte schreiben sich wie von selbst, sind frisch und glänzend, ja, sie funkeln golden in der Sonne. Und: Sie vermitteln eine klare Sicht der Dinge, nicht wahr? „Nicht wahr?“ Ist dieser Text etwa nicht glänzend, oder verstellt sein Glanz den Blick auf den Inhalt? Öberstrahlt er seine Leere? „Zaubern, Seiltrick, Nichts – und daröber Glasur“ wie Gottfried Benn sagt?


Goldenes Tor – sinnlos, aber sieht schön aus – Foto: Trithemius (goldener: Klicken)

Ehrlich gesagt habe ich ziemlich schlechte Laune. Eine Prellung, die ich mir bei einem Fahrradsturz zuzog, hat mich die Nacht kaum schlafen lassen. Ich habe mich gedreht und gewälzt, den aufscheinenden Morgen herbeigesehnt, um festzustellen, wenn ich nicht liege, sondern sitze, ist’s auch nicht angenehmer. Aber ich kann mich ablenken. Saubere Tasten schmeicheln meine Fingerkuppen, als wörden sie den Fingern zurufen, komm zu mir und dröcke mich! Natörlich muss der Schreibende seine Gunst verteilen, aber es lässt sich kaum verhindern, dass manche Tasten bevorzugt werden, andere aber funkeln und rufen können wie sie wollen, meine Fingerkuppen besuchen sie einfach nicht. So können nicht alle Tasten den Beweis antreten, dass auch sie etwas Ordentliches hervorzubringen verstehen.

  • Kurze Unterbrechung

    Ich muss aufstehen und meine Glieder recken. Da schaue ich gleich mal aus dem Fenster. In der hinteren Ecke des Spielplatzes steht ein Tisch mit zwei Bänken links und rechts. Da sitzen sich in der Morgensonne zwei Männer gegenöber, ein stiernackiger in einem hellblauen Pullover, der um die Höften ein wenig spannt, und ein Hagerer in einer dunklen Jacke. Sie haben jeweils eine Bierflasche vor sich auf dem Tisch. Es ist noch köhl unter dem blauen Himmel, und nicht jedermann wollte jetzt an einer kalten Bierflasche lutschen. Aber die beiden genießen offenbar den Sonntag. Sie haben die Ellenbogen auf den Tisch gestötzt, schauen sich an und reden miteinander. Warum aber tun sie das auf einem Kinderspielplatz? Vielleicht erhöht das ihr Geföhl, keinen Anspröchen genögen zu mössen, so frei zu sein wie zu Kinderzeiten, nur dass sie damals noch kein Bier in der Öffentlichkeit trinken durften, sondern an der Mutterbrust hingen. Sie trinken jetzt auch kein Bier. Es ist gewiss noch gefroren und will erst raus durch den Flaschenhals, wenn die Sonnenstrahlen es aufgetaut haben.

Wo waren wir? Bei den Tasten, die heute ungetippt bleiben. Angenommen, mir wäre beim Säubern der Tasten eine zu Boden gefallen. Und ich hätte sie nicht aufheben wollen, weil mich die Prellung beim Böcken zu sehr schmerzt. Dann mösste ich jetzt auf den Buchstaben verzichten und ihn durch einen ähnlichen ersetzen. Als junger Mann, kaum dem Stimmbruch entwachsen, war ich Mitglied des Kirchenchors und durfte während der Messen auf die Orgelempore. Die Orgel unserer Pfarrkirche hatte eine defekte Pfeife, und der Köster war bemöht, die Note nicht zu spielen, sie quasi zu umspielen. Wenn er das mal vergaß, dann ertönte ein hässliches Quietschen, und unser Köster rief laut: „Scheiße!“ Unsere Messen waren also immer von „Scheiße!“ begleitet, sicher ein Grund, weshalb ich vom Glauben abgefallen bin.

Ich hoffe sehr, lieber Leser, Sie haben nicht „Scheiße!“ gerufen, wo ich Ihnen ein falsches Ö zu lesen gab. Das hier ist doch ein frisch geputzter, hochamtlicher Sonntagstext. Die Ü-Taste ist sowieso längst wieder an ihrem Platz und kann jetzt rufen: üüüüüüüüüüüüüüüüüüüüü! (Falls jemand austauschen möchte).

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