Frau und Herr Picapica bauen ein Holzhaus

Ein junges Paar will eine Familie gründen. Sie finden einen Bauplatz und beginnen, ein Holzhaus zu errichten. Alles geschieht mit Muskelkraft. Abwechselnd sieht man Herrn und Frau Picapica lange Balken heranschleppen und verbauen. Doch plötzlich kommt ein dicker Mann, ein Koloss, gemessen am schlanken Herrn Picapica. Dieser Koloss besetzt das zukünftige Kinderzimmer, sitzt da dick, fett und sinnlos und lässt sich nicht vertreiben. Im Gegenteil, sobald Herr oder Frau Picapica in seine Nähe kommen, teilt der dreiste Hausbesetzer Prügel aus. Was bleibt dem Paar? Es gibt auf, sucht einen anderen Bauplatz und fängt erneut mit dem Hausbau an.

Der neue Bauplatz liegt in luftiger Höhe im Gezweig meines Küchenbaums, denn Frau und Herr Picapica sind Elstern. Sie haben ihren ersten Nestbau, der ein wenig höher im Nachbarbaum lag, den haben sie aufgeben müssen, weil das fast fertige Nest von einer fetten Krähe besetzt wurde. Diesmal kann ich den Nestbau ziemlich gut beobachten. An den ersten Tagen war überhaupt kein Fortschritt zu sehen, nur emsiges Bemühen. Beide segelten ins Unterholz der Grünanlage, pickten Zweiglein auf, die länger waren als sie selbst, trugen sie quer im Schnabel und flogen damit hoch zur erwählten Stelle im Baumwipfel, wobei sie manchmal zwei, drei Zwischenstationen auf den unteren Ästen machten, als würde unsereins beim Hochschleppen einer Waschmaschine auf dem Treppenabsatz verschnaufen. Das lose Zweiglein durch die aufstrebenden Zweige des Baums zu navigieren, erfordert großes Geschick, ihm Halt zu geben noch mehr. Wie oft fällt der Zweig einfach wieder nach unten. Dann haben sie Glück, wenn er nicht ganz zu Boden fällt, sondern sich im Gezweig verfängt und wieder aufgenommen werden kann.

Ab etwa dem dritten Tag war erstmals zu sehen, dass da ein Nest entstehen sollte. Die ersten Zweige lagen beinah parallel und bildeten somit das Fundament. Das muss die Elstern angespornt haben, denn jetzt wächst das Nest täglich. Nicht Schnee, nicht Regen hindert sie. An die 40 Tage soll so ein Nestbau dauern, auf menschliche Verhältnisse hochgerechnet entspricht das ungefähr der Zeit, die der Bau eines Eigenheims benötigt. Immerhin kommen die Elstern mit ihrem Nest schneller voran als der Mensch mit der Elbphilharmonie oder dem Hauptstadtflughafen. Und ganz ohne Bauplan, Planungsbüros und überbezahlte Planungschefs.

Wenn ich nach dem frühen Aufstehen aus dem Fenster schaue, fliegen die Elstern schon eifrig hin und her oder sitzen im Baumwipfel und hantieren mit langen Zweigen. Sie sind wahrlich keine geschickten Nestbauer. Es mag aber auch an dem sperrigen Baumaterial liegen, dass sie nur langsam vorankommen. Wie die verfallenden Burgen des Mittelalters den Leuten oft als Steinbruch gedient haben, so wird auch das alte Nest ein wenig gerupft.

Was mich aber bei der Beobachtung ein wenig erstaunt: So fleißig die Elstern auch ihr Nest bauen, oftmals fliegen sie wie sinnlos mal hierhin, mal dorthin, sitzen da und dort und schauen in die Gegend. Aber während ich das schreibe, fällt mir ein, dass auch ich manchmal wie sinnlos die Arbeit unterbreche, vom Schreibtisch etwa aufstehe und zum Fenster gehe, auch mal ziellos in die Küche – wie um das Revier zu sichern. Würde mich ein Außerirdischer beobachten, käme ihm so manche meiner täglichen Bewegungen sinnlos vor. Einige sind es auch oder sie dienen einem höheren Sinn, der in meiner Natur angelegt ist und mir und meinem Verstand unzugänglich bleiben muss wie ein Elsternest.

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