Baden, Duschen und trotzdem kein glänzender Verstand

Die besten Ideen hatte ich früher in der Badewanne, so dass ich das Bad manchmal abrupt beenden musste, aus der Sorge heraus, ich könnte etwas vergessen. Später legte ich mir Papier und Bleistift griffbereit, was aber die Ideen zu vertreiben schien, denn selten habe ich Papier und Bleistift tatsächlich genutzt.

Viele gute
Ideen hatte ich unlängst unter der Dusche, hab mir ganze Texte dort ausgedacht, solche, die sich selbst schreiben wollten, indem die Gedanken lange Assoziationsketten bildeten und meine einzige Sorge darin bestand, die verschiedenen gedanklichen Wege auf ihre Konsequenzen hin zu überprüfen, indem ich ihnen eine Weile gefolgt bin, um dann zu befinden: Der Weg ist gut oder: er führt mich auf unsicheres Gelände oder: er führt überhaupt ins Nichts. Dabei fürchtete ich auch nicht, die gedanklichen Wege zu vergessen wie früher, als ich noch matt in der Badewanne gelegen hatte. Denn das Geschehen in meinem Kopf war so intensiv, dass es nachhaltigen Eindruck machte und leicht zu überschauen und zu behalten war.

Bitte, diese Dinge schildere ich nur, um das Gegenbild so recht vor Augen zu führen, dass ich nämlich derzeit kaum noch etwas denke, wenn ich unter der Dusche stehe. Heute war da nur ein einziger, nahezu elend gichtiger Gedanke. Die ganze Zeit schlich er mit schweren Füßen in meinem Kopf herum, so lahm und kurzatmig, dass er kaum vorankam. Es ist mir fast peinlich, den Gedanken zu enthüllen, weil er mir so unscheinbar, fast rachitisch vorkommt. Es war der Gedanke an den Namen des Torhüters von Hannover 96, den ich letztens im Fernsehen gehört hatte. Dieser Gedanke war schon deshalb erbärmlich, weil ich mich, wenn überhaupt, nur sehr mäßig für Fußball interessiere und erst recht nicht für die Namen der Fußballer von Hannover 96. Ich kenne diese Herrschaften nicht. Aber heißt dieser Torwart tatsächlich Ron Hubert Zieler? Vor allem bei Hubert bin ich mir unter der Dusche nicht sicher gewesen. Der Vorname Hubert ist inzwischen selten geworden. Man hört ihn so gut wie gar nicht mehr, allenfalls unter meiner Dusche und da auch nur ganz leise, wenn man zufällig direkt neben mir stünde und Gedanken lesen könnte. Ja, Hubert gehört vermutlich auf die Liste der versunkenen Vornamen. Nach 1960 ist so gut wie kein Neugeborenes mehr mit diesem Namen gestraft worden, warum auch? Obwohl, das verrät mein Namenlexikon, aber nicht unter der Dusche, da war ich noch gänzlich unberaten …

Also erst einmal abtrocknen, damit ich die Seiten nicht mit nassen Fingern wellig mache. Hubert ist germanischen Ursprungs und bedeutet „glänzender Verstand“. Der einzige Hubert, den ich je gekannt habe, hatte aber ganz und gar nichts Glänzendes. Allenfalls kannte ich eine Hubertine, der man das vielleicht hätte nachsagen können, doch sie hielt sich fern von der Dorfgemeinschaft, in der ich aufgewachsen bin. Sie war die Tochter eines Gutsbesitzers und wollte vermutlich nur mit Töchtern und Söhnen von anderen Gutsbesitzern zu tun haben, wie ja alle, die im Rheinland auf Gutshöfen sitzen, seit Generationen ein Netzwerk von Verwandtschaftsbeziehungen unterhalten. Man könnte daher sagen: Diese einzigartige Hubertine sparte sich den Glanz für ihre Inzucht-Kreise auf. Als man sie fragte, warum sie beim Schützenfest sich nie im Bierzelt zum Tanz sehen ließ, sagte sie: „Soll ich mich etwa von jedem Bauerntöpel abgreifen lassen?“

Einmal habe ich
dieser Hubertine den Maibaum geklaut, nachdem ich ihn vorher ans Dach ihres Elternhauses gepflanzt hatte. Mit Freunden war ich in der Nacht zum ersten Mai im Dorf unterwegs gewesen. Da kamen zwei Typen im Mercedes vorgefahren und fragten, ob wir für sie der Hubertine einen Maibaum setzen könnten. Im Kofferraum hatten sie einen geschmückten Maibaum, eine kleine Birke mit bunten Bändern. Wir sagten zu, verlangten aber einen Kasten Bier als Belohnung. Die beiden fuhren zur nahen Kneipe und besorgten das Bier. Inzwischen kletterte ich von der angrenzenden Kirchmauer auf den Torbau des Gutshofes, ließ mir den Maibaum angeben und band ihn seitlich des Haupthauses an die Regenrinne. Als die Typen mit dem Bier kamen, stand der Maibaum und seine Bänder wehten im Nachtwind. Zufrieden rauschten sie davon. Nachdem die Rücklichter des Mercedes verschwunden waren, kletterte ich erneut auf den Torbau und holte den Maibaum wieder herunter. Den setzten wir später bei einem Mädchen namens Ingrid.

Der Torwart heißt übrigens Ron-Robert Zieler.

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