Schöner als Origami – Die Kunst, Zeitungen handlich zu falten

Als Schriftsetzerlehrling fuhr ich mit dem Bus zur Arbeit nach Neuss, das damals noch Neuß hieß. Da stieg mit mir ein Ehepaar ein, das ich nicht leiden mochte, obwohl die beiden mir nichts getan hatten. Allerdings hatte der Mann eine unangenehme Weise, im Bus die Zeitung zu lesen. Sobald er sich auf seinem Fensterplatz niedergelassen und seine Frau sich neben ihn gehockt hatte, packte er die Neuß-Grevenbroicher Zeitung (NGZ) aus und riss sie mit gestreckten Armen auseinander, so dass man denken konnte, er habe seine Frau nur als Puffer neben sich. Ein fremder Fahrgast würde sich nicht die Lufthoheit vor der Nase mit einer Zeitung streitig machen lassen.

Besonders abstoßend
fand ich die hektische Weise, in der der Ehemann die Seiten umblätterte und wieder glatt zog, dass es knallte. Dass er die Zeitung so heftig Knistern und Knallen ließ, war mehr als eine fordernde, gefräßige Aneignung des Inhalts, es war eine Demonstration. Zeitungslesen als Show. Schaut alle her, ihr analphabetischen Dorftrampel, was ich für ein gebildeter, interessierter Mensch bin, der seine Zeitung nicht nur liest, sondern auch beherrscht!

Dass einer die CDU-nahe NGZ las, beeindruckte mich nicht. Nicht, dass ich damals schlecht über die NGZ gedacht hätte. Schließlich war ich auf einem katholischen Dorf mit streng beschränktem Horizont aufgewachsen, wo alle die Christlich Demokratische Union (CDU) wählten, weil sie dachten, das wären sie ihrem Herrgott schuldig, als Ausgleich quasi, weil sie vorher stramme Nazis gewesen waren. Nein, es lag nicht an der NGZ, sondern ich fand das Verhalten dieses ungestümen Lesers einfach unhöflich, denn man macht nicht frühmorgens so einen Krach im Bus, und wenn die neben ihm auch seine Frau war: Man fuchtelt dem Sitznachbarn nicht mit Zeitungsseiten vor der Nase herum.

Gut 25 Jahre
später lernte ich eine Methode kennen, eine Zeitung handlich zu falten, so dass man sie auch unter beengten Platzverhältnissen lesen kann. Die Methode funktioniert aber nur bei Zeitungen mit einer geraden Zahl von Spalten, bei der FAZ beispielsweise. Da hatte man sich die Methode der zuerst Längs-, dann Querfaltung ausgedacht und sogar eine Faltanleitung herausgegeben.

Dieses dünne
Heftchen besaß ich einmal, kann es aber nicht finden. Deshalb habe ich eine Gifanimation gemacht, um zu demonstrieren, wie das geht. Allerdings kommt meine Anleitung ein bisschen spät. Die Zeit ist darüber hinweg gerauscht. In Bussen und Bahnen liest kaum einer noch Zeitung. Die meisten schauen in ihr Smartphone. Manchen stören die Smartphonenutzer. Mich stören die Smartphonewischer nicht, denn sie sind mir zehnmal lieber als einer, der die Zeitung aufreißt wie ein Sittenstrolch seinen Mantel.

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