Wie ich beinahe versehentlich gestorben wäre (4) – Herzdraht

„Wundern Sie sich gleich nicht. Ich bin dann etwas verkleidet“, sagt der Chefarzt, bevor er mich von der Intensivstation zur Herzkatheteruntersuchung schieben lässt. In der Nacht hat sein Oberarzt mich über die Gefahren und Risiken des Eingriffs aufgeklärt. Deren gibt es viele, und ich sehe mich gezwungen zu unterschreiben, dass man mich gegebenenfalls straflos um die Ecke bringen darf, natürlich nur mit den besten Absichten, mich vom Herzinfarkt zu heilen. Eine Wahl hatte ich nicht wirklich, und nachdem ich machtlos meine Unterschrift unter die Einverständniserklärung gehunzt hatte, sagte ich: „Jetzt bringen Sie mir bitte ein Blanko-DIN-A4-Blatt. Nach all den düsteren Drohungen will ich mein Testament machen.“ Materielle Güter habe ich nicht zu vererben, aber es muss doch geregelt werden, was mit den drei Teppichhäusern und den gut 2.000 Texten darin geschieht, falls ich den Löffel abgebe.

Leider habe ich den Fotoapparat vergessen, denn die mich umgebende Apparatur ist sehenswert. An klobigen Ringen können Röntgen-Aufnahmegeräte hin- und her, auf- und abgefahren werden. Sie können das Herz des Delinquenten quasi von allen Seiten, aus allen Winkeln auf Bildschirmen abbilden. Der Arzt, verkleidet wie ein Astronaut, macht ein Loch in die Arterie der Leiste und schiebt einen dünnen Schlauch direkt ins Herz hinein, wo er Kontrastmittel versprühen kann, um eventuelle Engstellen aufzufinden. Da setzt er ein Metallröhrchen ein, Stent genannt, der das krampfende Herzkranzgefäß dauerhaft offen hält.

Ich bin bei Bewusstsein, nur örtlich betäubt in der Leiste. „So, der Draht ist drin“, höre ich den Astronauten sagen. Wieso Draht? Ich habe nicht nach einem Draht im Herzen verlangt. Das finde ich sogar ziemlich extravagant, aber bin natürlich überhaupt nicht gefragt. Es entspinnt sich eine interessante Unterhaltung zwischen Arzt und assistierender Krankenschwester. Er fragt nämlich nach den vorhandenen Größen von beschichteten und unbeschichteten Stents. Die gewünschte ist nicht da, da nimmt er einfach eine andere, wie man manchmal einen 8er-Dübel nicht hat und sich eben mit einem 6er-Dübel behilft oder der Fahrradmechaniker sagt: „Ich habe gerade keinen 24er Reifen, nehmen sie auch einen 26er?“ Und man sagt notgedrungen ja, obwohl man weiß, dass ein 26 Millimeter breiter Reifen einen größeren Rollwiderstand hat als ein 24er. Aber wie gesagt, bei meinem Stent wurde ich gar nicht gefragt, und wenn ich zukünftig schon mal ein bisschen langsam bin, möge man mir das verzeihen. Dafür bin ich dann stabiler in schwierigem Gelände.

Der ganze Eingriff hat kaum eine halbe Stunde gedauert, war schmerzlos und wurde mit großem Geschick durchgeführt. Danach stört nur noch das Loch in der Arterie, das mir einen gewaltigen Bluterguss in der Leiste beschert. Sonst kann ich bald wieder herumspringen. Kaum drei Abende später fragt eine der liebenswürdigen Krankenschwestern, was ich zum Abendessen trinken möchte. Ich sage aus Spaß: „Ein Bier!“, und siehe da, mir und meinem Leidensgenossen im Bett nebenan wird danach allabendlich eine Flasche Bier offeriert.

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