Wie ich beinahe versehentlich gestorben wäre (2) – Blutbad

Mein Blutmontag hatte ganz harmlos begonnen. Ich war beim Bahnhof gewesen und hatte eine Rückfahrkarte nach Aachen gekauft, wo ich bei meinem guten Freund Coster unterkommen wollte, um einen Arzttermin wahrzunehmen, den ich arrangiert hatte. Dann hatte ich einen Koffer gepackt, mir eine Etappe der Tour de France angesehen, später mit meiner Freundin in München telefoniert. Dabei saß ich bequem im Sessel, tat nichts außer telefonieren, da plötzlich rann das Blut mir warm aus der Nase, und bevor ich noch etwas unternehmen konnte, tropfte es unkontrolliert auf die Dielen. Es half auch nichts, die Nase zuzuhalten, nicht ein kalter Lappen auf Nacken oder Stirn. Offenbar war eine Arterie in meiner Nase geplatzt, und weil ich seit Wochen schon ein Medikament zur Blutverdünnung eingenommen hatte, hätte diese kleine Verletzung ausgereicht, mich gänzlich blutleer zu machen. Im Bad, wohin ich mehrmals rannte, war der Kontrast zwischen meinem roten Blut und den weißen Kacheln am hübschesten. Das war bald ein echtes Blutbad, als hätte ich im Waschbecken ein Huhn geschlachtet. Während all meiner hilflosen Versuche, den Blutfluss zu stoppen, hielt ich die Telefonverbindung offen. Es war quasi mein Rettungsanker. Das Hörbild, das per Telefon nach München übertragen wurde, mein Jammern und die gestöhnten Berichte meiner vergeblichen Versuche, den Blutfluss zu stoppen, müssen schrecklich gewesen sein. Sie aber behielt einen kühlen Kopf und wählte die Notrufnummer 112.

Es dauerte nicht 10 Minuten, da klingelte es an der Haustür und schwere Feuerwehrstiefel polterten die Treppe hoch. Indem die beiden Rettungsassistenten der Berufsfeuerwehr in meiner Wohnungstür auftauchten, hörte das Blut aus meiner Nase auf zu tropfen. Da ich offenbar noch nicht ganz leergelaufen war, musste ich mir eingestehen, dass meine Nase eindeutig mehr Respekt hatte vor der Berufsfeuerwehr als vor mir, ihrem Besitzer. Freilich waren sie auch zu zweit, sozusagen zwei Nasen gegen eine.

Rettungsassistenten der
Feuerwehr sind nicht nur mit dem Rettungswagen unterwegs, sondern bekämpfen auch Brände oder befreien etwa eingeschlossene Unfallopfer aus Autos, wozu sie natürlich schweres Gerät benötigen, das nicht zur Standardausrüstung von Rettungswagen gehört, mit denen Leute wie ich zur Hals-Nasen-Ohren-Notaufnahme des Nordstadtkrankenhauses gefahren werden. Jedenfalls geschah es, dass ich innen auf der Trage lag, derweil beide Rettungsassistenten an unserem Ziel ausgestiegen waren. Ich lag da und meine Nase blutete wieder vor sich hin. Es wäre jetzt ganz schön, würde ich endlich ausgeladen und in die Notaufnahme gebracht werden, dachte ich noch. Derweil drang nach und nach in mein Bewusstsein, dass etwas nicht stimmte. Da wurde an den Türgriffen des Rettungswagen gezogen und gerappelt, ich hörte die Rettungssanitäter leise fluchen und miteinander beraten, dann rief einer der beiden, ob ich vielleicht versuchen könnte, die Tür von innen zu öffnen. Man habe sich leider ausgesperrt und kriege keine der Türen mehr auf. In der Not wächst das Rettende auch. Wenn sich auch Nase und Türschlösser gegen mich verbündet hatten, blieb ich bei Bewusstsein und war in der Lage aufzustehen und die Tür von innen zu entriegeln, bevor die Feuerwehr mich aus dem Rettungswagen schweißen musste.

Das Rettende trat auf in Gestalt einer sehr hübschen und mir durchaus sympathischen Ärztin. Sie suchte die geplatzte Arterie in meiner Nase, fand sie auch, jubelte: „Ah! Da ist der Übeltäter!“ und verödete den Übeltäter ohne vorherige Gerichtsverhandlung. Dann rammte sie mir zwei fingerlange Tamponagen in die Nase, wobei sie mich tröstetet: „Davon passen acht Stück hinein. Man glaubt nicht, wie groß die Nase ist!“ Meine Nase schien mir aber viel zu klein für diese Kaliber, und ich war die nächsten drei Tage kein Mensch, fühlte mich schrecklich von innen wie von außen. Aber das war nur der Auftakt. Da sollte ja noch mehr passieren.

Fortsetzung

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