Was erlauben Urlauber?

Vor Jahren schon ist mir auf den Ost- und Nordfriesischen Inseln aufgefallen, dass der einheimische Menschenschlag entweder albern oder aber übellaunig ist. Beide Attribute sind Erscheinungsformen von Selbsthass und Bosheit, wobei mir der Alberne fast noch unheimlicher ist als der Übellaunige. Namentlich die Bewohner der Nordseeküsten stammen ja überwiegend von Strandräubern ab, und wer wollte, wenn überhaupt, von einem albern feixenden Strandräuber erschlagen werden? Die raue Nordsee hat ein Übriges dazugetan, den unersprießlichen Charakter der Menschen dort zu prägen, und wie auf den sandigen Dünen nur vereinzelt die Grashalme stehen, ist auch die Bosheit nur unzulänglich kulturell überformt, namentlich durch eine dem Geschäftssinn geschuldete professionelle Freundlichkeit, durch die es aber eiskalt schimmert wie durch den Netzstrumpf einer Hafenhure.

Nun war ich eine Woche an der Ostsee, und weil das Wetter der ersten Tage keinen Strandgang erlaubte, besuchten meine reizende Begleiterin und ich die Hansestadt Lübeck und besichtigten ein Marzipanmuseum. In einer „Marzipanshow“ im historischen Ambiente lehrte ein Konditormeister die Anwesenden, aus einem Klumpen Marzipan eine Rose zu formen. Bei dieser Gelegenheit verwies er auf einige vereinzelt an Tischen sitzende Leute und sagte: „Das ist typisch für uns. Wir mögen hier die anderen Leute nicht.“ Für diese Einschätzung fanden wir täglich neue Beweise, wobei man einschränkend sagen muss, dass eine Form der selektiven Wahrnehmung zum Tragen kam, weil der Lübecker Konditormeister auf einen Begriff gebracht hatte, was wir bislang zwar gespürt, aber nicht benennen konnten.

Ich weiß nicht, ob es an der relativ ruhigen Ostsee überhaupt Strandräuber gegeben hat. Vielleicht ist der missmutige Charakter der Küstenbewohner das Resultat jahrhundertelanger Überfälle durch Wikinger, die ja auch nur auf Raubzug gingen, weil das Leben an den Küsten karg und unersprießlich war. Gleichwohl lebte der gemeine Küstenbewohner an Nord- und Ostsee traditionell vom ufernahen Raub, bis mit dem Badetourismus eine neue Einnahmequelle zu sprudeln begann. Der Badeurlauber muss nicht beraubt werden, sondern gibt sein Geld freiwillig ab und ist sogar bereit, für die simpelsten Dinge eine Gebühr zu entrichten wie etwa für die Erlaubnis, den Strand zu betreten, im Sand zu liegen oder ins Wasser zu gehen. Am liebsten aber wäre den Küstenbewohnern, der Badetourist würde sein Geld überweisen und zu Hause bleiben. Denn so sehr sie sich auch bemühen: Die anderen Leute mögen sie nicht.

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