Der Name der Jecken steht an allen Ecken – Tags im Alltag

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Was in den 80ern die Amsterdamer Punkdichterin Diana Ozon romantisierend besingt, ist inzwischen zur Plage der Städte geworden. An die Stelle künstlerisch gestalteter Graffiti tritt das Taggen von Hauswänden, Fensterscheiben und allerlei Gegenständen im öffentlichen Raum. Diese von so genannten „Writern“ rasch hingehunzten Chiffren haben den Charakter von Ich-war-hier-Marken. Für Writer ist das Tag ein Mittel, einen hohen Bekanntheitsgrad in der Szene zu bekommen. Es ist wie Beinheben an der Wand. In der Bandenkultur markieren die Tags einen Gebietsanspruch. Für alle anderen tendiert der Mitteilungswert dieser neuzeitlichen Großstadtchiffren gegen null.

Schon Till Eulenspiegel hinterließ der Sage nach an den Orten seiner Streiche ein Rebus seines Namens, eine gezeichnete Eule mit Spiegel, und schrieb dazu auf Lateinisch: »Hic fuit«. (Hier ist Eulenspiegel gewesen). Sein direkter Nachfahre war der Wiener Hofbeamte und Alpinist Joseph Kyselak, der den Ehrgeiz hatte, im ganzen Kaiserreich bekannt zu werden, indem er überall seinen Namenszug oder den Spruch „Kyselak war hier“ hinterließ. Gerne beschriftete er auch schwierig zu erreichende Stellen im Hochgebirge.

Im Theaterstück CAMINO REAL von Tennessee Williams (1953) tritt der junge Boxer Kilroy an eine Tafel und schreibt: „Kilroy was here“. Dieser Spruch umrundete bald den Globus. „‚Kilroy was here’ schrieben die amerikanischen Soldaten an die Abtrittswände in aller Welt“, schreibt Georg Hensel in seinem Schauspielführer „Spielplan“. In den 60er Jahren war „Kilroy was here“ auch bei Schüler und Studenten populär. Die illustrierte Variante zeigt ein Männchen, das die dicke Knollennase über eine Mauerkrone hängen lässt.

Bekannt aus den Endsechziger Jahren ist der Hamburger Peter-Ernst Eiffe. Dieser Apo-Aktivist entwickelte allerdings eine skurrile, dadaistische Phantasie mit Sprüchen wie: „Eiffe, der Bär, ist lieb, stark und potent“, „Eiffe sucht Frauen, die Französisch und Chinesisch können, sowie gesunde Senatoren“ oder „Eiffe for president, alle Ampeln auf gelb.“

Das Überschreiben fremder Tags oder Graffiti heißt „crossen“. Während Graffiti selten gecrosst werden, tritt es bei Tags ziemlich oft auf. Künstlerisch durchgestaltet sind nur wenige Tags und verdienen das Prädikat „Style-Writing.“ Die meisten wirken unfertig und hingehudelt. So haben auch nur wenige Writer Kyselaks Ehrgeiz: „Je schwieriger die Stelle, desto größer der Ruhm.“

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7 Kommentare zu Der Name der Jecken steht an allen Ecken – Tags im Alltag

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