Frau Nettesheim mahnt den Frühjahrsputz an

Frau Nettesheim
Keine Lust zu schreiben, Trithemius?

Trithemius
Kaum. Hab zuviel anderes zu tun.

Frau Nettesheim
Zuerst feiern sie die von Ihnen so genannten „Gepflegten Netze“, und dann pflegen Sie das Teppichhaus nicht mehr? Gerade jetzt wäre ein Frühjahrsputz angesagt. Können Sie wenigstens mal erklären, was ein gepflegtes Netz ist?

Trithemius
Ganz gewiss nicht einfach das, was man gemeinhin „social media“ nennt. Da tummeln sich viele Leute, die das Internet eingeschränkt nutzen. Sie fahren einen Porsche nur im ersten Gang. Zum Beispiel hat die Zeitschrift Titanic bei Twitter 54.282 Follower und folgt selbst niemandem, nutzt also das Internet als Einkanalmedium. Titanic sendet, aber empfängt nichts, ganz in der Tradition des Printmediums. An einem Austausch mit den Lesern sind sie nicht interessiert. Nicht umsonst veröffentlichen sie keine Leserbriefe, sondern andersrum „Briefe an die Leser“.

Frau Nettesheim
Für dieses Format haben Sie doch auch eine ganze Weile geschrieben.

Trithemius
Bevor ich das Bloggen entdeckte und mir nach und nach die zentrale Schwäche der etablierten Medien aufging. Denken in der Buchkultur wird von oben herab mitgeteilt. Massenmedien bestimmen, was gerade öffentlich diskutiert wird und geben die Weise vor, wie man darüber zu denken oder am Beispiel Titanic zu witzeln hat. Daraus hat sich ein grotesker Dünkel ergeben, von dem sich besonders Printjournalisten kaum befreien können. Da ist es kein Wunder, dass Blogs die schärfste Kritik von Printjournalisten bekommen. Es kränkt sie, dass Blogger sich der geistigen Kontrolle entziehen.

Frau Nettesheim
Das ist doch verständlich, Trithemius. Angesichts der durchweg sinkenden Auflagen bei den Zeitungen haben viele Journalisten Angst um ihren Arbeitsplatz.

Trithemius
Ja, aber wir können darauf keine Rücksicht nehmen. Wir wollen keinen Verlautbarungsjournalismus mehr. Er nimmt den Menschen die geistige Freiheit und ist zu oft mit dem Versuch verbunden zu manipulieren. In der Buchkultur ist man wie ein Kalb hinter einem Karren angebunden, der durch eingefahrene Karrenspuren des Denkens rumpelt.

Frau Nettesheim
Ein Buch oder eine Zeitung zu lesen, kann auch eine Bereicherung sein.

Trithemius
Schon Schopenhauer hat gesagt, man solle nicht zuviel lesen, weil man doch nur fremde Gedanken denkt.

Frau Nettesheim
Sie und Ihr Schopenhauer! Was ist der Unterschied zum Lesen in Blogs?

Trithemius
Die gleichrangige wechselseitige Kommunikation per Kommentar. Autor und Leser sind auf Augenhöhe und tauschen sich zum Thema aus, vertiefen es und lassen sich anregen.

Frau Nettesheim
Klingt idealisierend.

Trithemius
Wieso? Dass es nicht so oft zu einem intensiven Austausch kommt, ist kein Gegenargument. Die Möglichkeiten dieser freien Kommunikation sind vorhanden. Wenn sie nicht intensiv genutzt werden, dann liegt es daran, dass wir uns noch an die gedankliche und künstlerische Freiheit gewöhnen müssen.

Schließlich sind wir alle von der Buchkultur geprägt. In unserer Gesellschaft ist erfolgreich, wer denkt, wie man zu denken hat. Das lernen die meisten in der Schule. Der heimliche Lehrplan der Schule ist gedankliche Unterwerfung. Die Universitäten sind nicht anders. In den Unternehmen ist nur erfolgreich, wer seine eigenen Gedanken für sich behält. Und in seiner Freizeit wird man von den Massenmedien am Nasenring rumgefahren.

Frau Nettesheim
Nicht so im Teppichhaus?

Trithemius
Natürlich nicht, Frau Nettesheim. Wenn ich Unsinn erzähle, wird mir das bald einer schreiben, und ich denke darüber nach, ob ich etwas revidieren muss. Zur Not habe ich immer noch Sie.

Frau Nettesheim
Mich? Mich haben Sie mehr als einmal als Kunstfigur bezeichnet, was ziemlich ungalant war.

Trithemius
Wieso? Das ist doch eine Ehre. Mich hat noch niemand als Kunstwerk bezeichnet.

Frau Nettesheim
Er mal wieder.

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16 Kommentare zu Frau Nettesheim mahnt den Frühjahrsputz an

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