Warum eine Pfeife keine Pfeife ist

Der belgische Surrealist René Magritte hat mehrmals das Bild einer Pfeife gemalt, worunter steht: „Ceci n’est pas une pipe“, das ist: „Dies ist keine Pfeife.“ Man kann diese Botschaft auf verschiedene Weisen deuten, denn die Offenheit der Deutung ist eine Eigenschaft des Kunstwerks. Magritte selbst sagt dazu:
„Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berühren kann. Können Sie meine Pfeife stopfen? Natürlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so hätte ich gelogen. Das Abbild einer Marmeladenschnitte ist ganz gewiss nichts Essbares.“

In gleicher Weise ist natürlich das Wort „Pfeife“ keine Pfeife, die man rauchen kann. Auf diese Idee würde man nicht kommen, wenn man das Wort hört. Mit der Alphabetschrift hat sich der Mensch ein Medium geschaffen, eine Lautfolge wie „Pfeife“ aufzuschreiben. Wie die Lautfolge „Pfeife“ aufzuschreiben ist, beruht auf Vereinbarung und ist immer nur eine Annäherung an den Laut. Denn das Alphabet hat weniger Buchstaben und Buchstabenkombinationen als die Sprache Lautfolgen hat.

Im Wort ich beispielsweise steht die Ligatur „ch“ für einen Zischlaut, in ach aber bezeichnet „ch“ einen Kehllaut. Es gibt auch viele Varianten, den Vokal „e“ auszusprechen. Im Wort „Rentner“ sind zwei Weisen vertreten. Das erste „e“ entspricht mehr dem Laut „ä“, das zweite klingt eher wie ein unbetontes, offenes „o“. Trotzdem neigt man als Nutzer der Alphabetschrift dazu, einen engen Zusammenhang zu sehen zwischen dem geschriebenen Wort und der Sache, die es bezeichnet. In Diskussionen um Schreibweisen werden oft Beispiele genannt, um zu beweisen, dass eine bestimmte Schreibweise die einzig richtige sei. So behauptete ein Leserbriefschreiber in der FAZ, das Wort Meer dürfe man nicht seines Doppelvokals berauben. Ohne das Dehnungszeichen „ee“ würde „Meer“ den Eindruck der Weite nicht mehr vermitteln. Man kann diese Behauptung leicht widerlegen. In Wahrheit geht es hier um Gewöhnung an ein Wortbild. Beim „Wal“ fehlt beispielsweise ein Dehnungszeichen. Trotzdem denkt man beim Lesen des Wortes Wal an ein ziemlich großes Säugetier. Nach der Theorie des Leserbriefschreibers müssten wir „Waal“ schreiben oder „Wahl“, womit wir aber etwas ganz anderes meinen. Auch kann ein Tal sehr tief und weit sein. Warum also schreiben wir es nicht Taal?

Alle Schreibweisen
beruhen auf Vereinbarung. Einige sind sehr alt, andere wurden am Anfang des 20. Jahrhunderts von Konrad Duden festgeschrieben. Man neigt dazu, ein geschriebenes Wort mit der bezeichneten Sache gleichzusetzen, weil Schrift anders als der Laut beständig ist. Man sieht das Wort. Es steht dort und verfliegt nicht wie der Laut. Also prägt es sich ein und scheint uns unveränderlich. Diese Einstellung ist magisch und erinnert noch an Zauberworte. Doch auch das Wort Pfeife ist keine Pfeife. Würden wir uns einigen, fortan „Pfaife“ zu schreiben – einige unserer Enkel würden diese Schreibweise als die einzig richtige verteidigen, vorausgesetzt sie interessieren sich überhaupt noch für Orthographie.

Erstveröffentlichung dieses Textes 11/2006 im Teppichhaus 2.0
Redigierte und gekürzte Fassung

Dieser Beitrag wurde unter Schrift - Sprache - Medien abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Kommentare zu Warum eine Pfeife keine Pfeife ist

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.