Brei und Axt – Kurzfassung eines langen Kneipenabends

Gestern Abend traf ich mich mit Freund Shhhhh in unserer Stammkneipe. Sie trägt den schönen Namen „Vogelfrei“. Wir hatten das noch nie an einem Montag gemacht und waren tatsächlich eine ganze Weile die einzigen Gäste. Als ich eintraf, saß S. schon bei einem großen Pils auf seinem Lieblingsplatz in der Ecke, den Rücken zum Fenster, die Tür im Blick und schrieb in sein Notizbüchlein, quasi als vogelfreier Kneipendichter. S. erzählte, dass er vor Tagen tapfer Griesbrei gegessen, in den die Gastgeberin versehentlich das Salzfass geleert hatte.

Ich esse
eigentlich alles, was mich nicht ansehen kann, aber mit Griesbrei kann man mich quer durch die Republik bis in die Innere Mongolei jagen, auch wenn es ganz besonderer Grießbrei ist, in den ein Eimer Salz gehört. Schon das Wort Brei ist mir zuwider, und ich bin nah dran zu glauben, dass im Wort Brei das universell breiige sich verbirgt, das körnig-schleimige Mittelding zwischen fest und flüssig. Wie das schon klingt: Hebt an mit einem trockenen Brrr, um sogleich in das schleimige Ei zu tauchen. Alle Wörter, die mit „Br“ und „Gr“ beginnen, sind grauslich und brutal hässlich, ausgenommen Braut und Bräutigam natürlich; die machen sich ja extra hübsch.

S. hatte ein Buch mit Geschichten von Richard Brautigan bei sich, und weil wir ungestört waren, ermunterte ich ihn, mir die beste vorzulesen. Sie war ziemlich komisch, voller surrealistisch anmutender Übertreibungen und schräger Bilder, obwohl es um einen banalen Vorgang ging, das Anstehen in der Kassenschlange einer Bank hinter siamesischen Zwillingsbrüdern, von denen einer nur paar und sechzig Dollar einzahlt, der andere aber zwei Millionen, hab die genauen Summen leider vergessen.

Am Nachmittag hatte ich in einem Text Grießbrei erwähnt, vermutlich zum ersten Mal in meinem Leben. Darum schien mir seltsam, dass S. just zum Beginn unseres Abends von „Grießbrei“ erzählte, denn schließlich hat die deutsche Sprache gut zwei Millionen Wörter, aus denen er hatte wählen können. Meinen Text kannte er jedenfalls noch nicht. Überall wird Frühling ausgerufen, Shhhhh hatte sogar Goethes „Osterspaziergang“ umgedichtet, was er mir vorlas, aber ich glaube, was in der Luft liegt, ist nicht Frühling, sondern Grießbrei.

„Bundespräsident Gauck nimmt seine Amtsgeschäfte auf“ titeln heute diverse Zeitungen. Wie muss man sich das vorstellen? Gauck auf den Stufen von Schloss Bellevue, seine Braut im Arm, wendet sich um, sieht sie liebvoll an und spricht den tiefen Herzenswunsch aller ehedem darbenden DDR-Bürgerrechtler aus: „Komm, Daniela, jetzt lassen wir uns von der Schlossküche zuerst mal eine ordentliche Portion Grießbrei kochen!“, – quasi als fass- und essbare Äquivalenz zu dem Brei, den er in letzter Zeit von sich gegeben hat und womit er uns hinfort zuzuschütten gedenkt.

Jedenfalls, wir sind wieder in der Kneipe, hatte sich Shhhhh letztens ziemlich negativ über Smartphones und ihre Bediener ausgelassen, obwohl er wusste, dass ich auch eines besitze. Aus Rache holte ich mein Smartphone heraus, rief im Internet das Teppichhaus auf und nötigte ihn, den Text zu lesen, zum Beweis, dass ich tatsächlich Griesbrei erwähnt hatte. Da konnte er nicht anders als zu lernen, wie man als „Smartphonezombie“ Fingerabdrücke auf dem Display macht, – um was zu lesen? „Grießbrei“. Derzeit hänge ich wieder mal der Theorie an, man könne schicksalhafte Wendungen herbeipfeifen. Ich mache mich also auf ein bedenklich waberndes Gebirge von Grießbrei gefasst.

Viel später dann, als wir nach einem unterhaltsamen Abend gehen wollten, kam ich beim Bezahlen mit einem rauschbärtigen, zottelhaarigen Mann ins Gespräch. Er begleitete uns vor die Tür, um Shhhhh noch etwas zu fragen, was er nämlich davon halte, dass ihm die Polizeistreife sein Lagerfeuer gelöscht hatte, das gut vier Meter Durchmesser gehabt hätte. Weil Shhhhh nicht sofort wusste, wovon der Mann sprach, begann er die ganze Geschichte von vorn zu erzählen, versprach aber, die „Kurzform“ zu geben. Das ging so:

„Ich stamme wie jedes Menschenkind vermutlich von Adam ab, wahrscheinlich auch von Abraham, ganz sicher aber in direkter Linie von Karl dem Großen, der bekanntlich in der Gegend war, um heidnische Sachsen zu köpfen und neue zu machen. Meine Eltern sind der Förster Karl-Hermann Mobenbach und Katharina Mobenbach, geborene Lammfell, deren Vater ebenfalls Forstmeister im Teuteburger Wald war. Das Schlagen von Holz wurde mir also in die Wiege gelegt, obwohl ich eigentlich Konditor werden wollte. Aber mein älterer Bruder, der gemäß der Erbfolge für das Forsthandwerk vorgesehen war, heiratete eine reiche Witwe, die er über eine Annonce in der FAZ kennen gelernt hatte, und ist hinfort mit der Verwaltung ihres Vermögens beschäftigt, das aus einer hübschen Summe Bargeld auf einem Schweizer Nummernkonto und stattlichen Waldungen besteht, zu denen auch der Forstbezirk meines Vaters zählt, wodurch er sich seinem eigenen Erstgeborenen unterwerfen musste. Mit 17 Jahren verließ ich das unfrohe elterliche Haus und ging auf die Walz, führte mit mir die Axt, die mein Großvater mütterlicherseits und mein Vater schon geführt hatten. Denn mit der ungebührlichen Heirat hatte mein älterer Bruder sein Anrecht auf die väterliche Axt ver …


Ich holte von
der anderen Straßenseite mein Fahrrad, kaufte mir auf der Limmerstraße ein Stück Pizza, rauchte eine, ließ eine Prozession juchzender Frauen vorbei, die verfolgt wurden von einer stattlichen Anzahl trabender Elefanten, sieben cremefarbenen Strechlimousinen und 58 watschelnder Pinguine, zählte die Pinguine, kratzte mich am Kopf, betrachtete einige Schaufenster, und als ich wieder eintraf bei Shhhhh und dem Mann, der ihn was fragen wollte, hörte ich noch die letzten Sätze seiner Geschichte in Kurzform:

„… das ist immer dasselbe Polizistenpaar. Letztes Jahr haben die meine Axt konfisziert. Diesmal zwingen sie mich, mein stattliches Lagerfeuer zu löschen, und ich habe gesagt, was wollt ihr denn von mir? Das Holz habe ich ganz legal bekommen. Und wo ist eigentlich meine verdammte väterliche Axt?!“

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