Mein müßiger Wäschesack lässt uns alle Zeit verlieren

Gegen Morgen träumte ich vom Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Er tauchte deutlich vor meinem inneren Auge auf, aber mir wollte partout nicht sein Autor einfallen. Immer wieder drängte sich der Vorname Marcel auf, aber „Marcel“ schien mir zu kräftig für den Autor, den ich doch als schwache Persönlichkeit mir vorstellte. Eine Weile lehnte der Name feixend an der Straßenecke, doch wenn ich ihn erhaschen wollte, entzog er sich zur nächsten Ecke, verschwand ganz, um neckisch einen Fuß, einen Arm oder den Haarschopf hervorzustrecken.

Frustriert träumte ich mir die Google-Suchmaske herbei, gab den Romantitel ein und drückte gespannt auf ENTER. Dadurch geriet ich beinah in den Wachzustand, schwamm haarscharf unter der Oberfläche und zwang mich, wieder hinab in meinen Traum zu tauchen. Da aber kam ich erneut in Nöte, dass ich nämlich beim Erwachen meine Frage nicht mal mehr wüsste und den ganzen Morgen versuchen müsste, wieder heranzukommen an meinen Traum. Erst in der Nacht zuvor hatte ich gegen Morgen einen Fragesatz geträumt, der einen wichtigen Aspekt meines Lebens betraf. Da tauchte unvermittelt die alles erlösende Antwort auf, und ich war erleichtert. Als ich erwachte, war nur noch die Erinnerung da, die ich gerade geschildert habe, Frage und Antwort sind weg.

Was wäre, wenn meine Eingabe in die Google-Suchmaske Ergebnisse gebracht hätte? Ich bin froh, dass es nicht geschah, weil eine erfolgreiche Googlesuche den Hinweis gegeben hätte, dass ich längst eine Mensch-Maschine geworden bin, nicht nur Teilaspekte meiner Person in die virtuelle Welt übergetreten sind, sondern die virtuelle Welt in mein Gehirn ragen würde, um dort Funktionen bereitzustellen, die ein menschliches Gehirn nicht haben sollte. Ein wichtiges Element menschlicher Kreativität ist doch, Bezüge vergessen zu können, damit sich neue, unerwartete Gedankenverbindungen einstellen können. Ich hege und hätschele meine Vergesslichkeit, weil das Schöpferische darin wurzelt. Deshalb umgebe ich mich gerne mit Menschen, die so etwas wie meine externe Festplatte sein können. Ich stelle mich doof, um sie anzuspornen. Frage etwa: Wie heißt noch mal der Schauspieler, der in einem Film, dessen Titel ich nicht mehr weiß, diesen einen Satz gesagt hat, der mir grad mal überhaupt nicht einfällt? Oder das Duett mit Gitarre und Banjo in dem Film, wo der eine mitspielt, so’n Macho?

Einmal, es war
in einem Fiebertraum, hat in der Ecke meines Schlafzimmers mein Wäschesack geseufzt.„Tschirch!“ hat er gesagt. Schade, dass er diesmal still in seiner Ecke blieb. Er hätte wenigstes einmal prusten können. Rätselhaft ist mir allerdings noch immer, warum ich den Namen überhaupt wissen wollte, denn ich habe den Roman vor vielen Jahren nur angelesen, weil er mich langweilte. Die Aussicht, mich durch sieben langweilige Bände fressen zu müssen wie durch ein Griesbrei-Siebengebirge, hat mich verzagen lassen. Am Ende hätte ich den Zeitverlust beklagt, wie ich jetzt auch Ihnen mit müßigen Berichten die Zeit geklaut habe, meine lieben Damen und Herren.

Dieser Beitrag wurde unter Kopfkino, Mein surrealer Alltag abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Kommentare zu Mein müßiger Wäschesack lässt uns alle Zeit verlieren

  1. Pingback: Brei und Axt – Kurzfassung eines langen Kneipenabends |

Schreibe einen Kommentar zu klara Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.