Sprachwandel schlägt Sprachpflege

Die winterharte, immergrüne Kletterpflanze Efeu hat einmal Ep-heu geheißen und wurde mit Recht so geschrieben, denn Epheu stammt vom ahd. ebihouwi ab. Das ph wurde aber als griechisches Φ (Phi) verlesen und fälschlich zum f eingedeutscht, was den Lautwandel mit sich brachte. Sagst du korrekt: „Ep-heu wurde laut Wikipedia zur Arzneipflanze des Jahres 2010 gekürt“, weiß niemand, welches Gewächs gemeint ist.

Kurioser ist die Entstehung des Wortes Zenit. Es ist entlehnt aus dem Arabischen. Da heißt es Zemt. Fliegendreck über dem 3. Beinchen des m führte dazu, dass es verlesen wurde. Zenit tönt viel schöner als das einsilbige Zemt. Wer hätte gedacht, dass ein Fliegenschiss solchen Wohlklang hervorbringen kann. Wir beobachten an solchen Wörtern beispielhaft den Sprachwandel. Er zeichnet lebendige Sprachen aus. Sprachwandel vollzieht sich selten nach Regeln, sondern ist meist zurückzuführen auf Unwissenheit, Vergessen, Verhören und Verlesen, Analogiebildungen durch falsche Schlussfolgerungen, also auf Volksetymologie. Man kann demnach sagen, der für eine lebendige Sprache wichtige Sprachwandel geht auf sprachliche Fehler der Sprachbenutzer zurück. Es ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel, wenn man die Entwicklung verhindern will.

Seit etwa 10 Jahren rauche ich wieder, nachdem ich 25 Jahre nicht geraucht hatte. Damals habe ich Halfzware Shag geraucht, und bei dieser Sorte zum Selbstdrehen bin ich geblieben. „Halfzware Shag“ ist Niederländisch und bedeutet „halbschwerer Tabak“. Gehe ich aber in einen Kiosk und verlange „halbschwer“, werde ich seit Jahren grundsätzlich korrigiert, indem die Händler „halbschwarz“ sagen. Wenn ich gut gelaunt bin, erkläre ich, dass niederländisch „zware“ (heute zwaare geschrieben) nicht wie es scheint schwarzer bedeutet, sondern schwerer. Die meisten wollen das gar nicht hören, sondern gucken mich irritiert an.

Einzig ein türkischer Händler versprach mir kürzlich, sich die korrekte Übersetzung zu merken, sagte es aber beim nächsten Mal wieder falsch, erinnerte sich dann an mich und korrigierte sich lachend. Was soll er machen, ständig hört er es falsch, alle Kunden verlangen „halbschwarz“, nur ich muss die Sache komplizieren. Inzwischen habe ich die Hoffnung aufgegeben, mein sprachpflegerischer Einspruch könnte etwas bewirken. Sprachlich richtig ist, was die Sprachgemeinschaft als richtig empfindet. Die Lebendigkeit einer Sprache speist sich aus dem Fehler. Da können die Schulmeister und Sprachpfleger der Nation auch nichts machen. Ich akzeptiere den Entscheid der Sprachgemeinschaft, aber bevor ich „halbschwarzen“, also grauen Tabak verlange, gewöhne ich mir das Rauchen wieder ab.

Dieser Beitrag wurde unter Schrift - Sprache - Medien abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

13 Kommentare zu Sprachwandel schlägt Sprachpflege

Schreibe einen Kommentar zu trithemius Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.