Der Weihnachtsstern ist ein kleines Licht

Weihnachtliche Innerlichkeit – zuletzt habe ich sie als 10-jähriges Kind empfunden. Meine Familie lebte auf einem katholischen Dorf im Rheinland. Am Heiligabend nach der Bescherung, so gegen 12 Uhr nachts, gingen wir zur Pfarrkirche in die Christmette, wo sich versammelte, wer schon oder noch laufen konnte. Diese Mette dauerte fast die ganze Nacht hindurch. Man musste in den harten Holzbänken knien, stehend singen, durfte zur Predigt sitzen, dann wieder knien, stehen, knien, derweil Priester und Messdiener am Altar ihre rituellen Verrichtungen vollzogen – Latein brabbelten und uns zur brausenden Orgel singen hießen. Die Knie schmerzten mir schon bald, die Krippe seitlich des Altars hatte ich mir über alle Hirten bis zum kleinste Schaf längst angesehen, aber die Mette wollte und wollte nicht zu Ende gehen. Dann endlich gegen 4 Uhr am Morgen sangen wir erleichtert das Schlusslied, und als wir vor das Kirchenportal in die eiskalte Nacht hinaus traten, da hatte es geschneit. Wir stapften frierend aber froh durch den Neuschnee nach Hause, wo schon bald der Weihnachtsbaum erstrahlte, die Wohnung nach Kaffee duftete und der Christstollen zum Frühstück angeschnitten wurde. Was man sich so hart hatte verdienen müssen, verlieh dem jungen Weihnachtsmorgen einen fast überirdischen Glanz. Und schon bald zog sich jeder in eine Ecke zurück und widmete sich seinen Geschenken.

Diese weihnachtliche Innerlichkeit ging mir bald verloren. Wieder gefunden habe ich sie nie mehr, obwohl die Geschenke größer und teurer wurden. Als ich selbst Familie hatte, tauchte das Wort Stress auf, vorweihnachtlicher Stress der unzähligen Besorgungen, die Weihnachten erforderte, und mit den Jahren wurde rundum die Klage über Konsumstress immer lauter. Inzwischen aber hat sich die Klage verloren. Letztens habe ich bei einer Freundin einen großen Kleiderschrank aufgebaut, zwei Tage waren wir damit beschäftigt. Derweil hörten wir Radio, einen dieser privaten Sender, die das Wort „Antenne“ im Namen führen und in ganz Deutschland die gleiche Klangfarbe, ähnliche Jingles und ähnlich durchgeknallte Moderatoren haben. Diese Moderatoren plapperten den ganzen Tag vom Weihnachtsstress, aber es war keine Klage darin, sondern es ging darum, die Kauflust aufzuheizen, einen kollektiven Kaufzwang aufzubauen in Hörertelefonaten, Weihnachtsbaumverschenkaktionen und dergleichen lustvoll ächzendem Gerede über noch zu besorgende Geschenke, zu planendes Weihnachtsessen und überhaupt um die Segnungen des Konsums. Autovermieter SIXT, bei dem ich einmal im Leben ein Auto gemietet hatte, nämlich für meinen Umzug nach Hannover, schickte mir soeben eine Werbe-E-Mail, die überschrieben war mit: „Merry SIXTmas!“ Besser lässt sich die Okkupation und Sinnentleerung von Weihnachten durch Handel und Gewerbe kaum zeigen.

In der Bahn der Linie 1 sitzt mir gegenüber ein kleiner alter Mann mit zerfurchtem Gesicht und Altersflecken auf der hohen Stirn. Die schlohweißen Haare hat er akkurat nach hinten gekämmt, er trägt einen Rautenpullover, darüber ein dunkelbraunes Jackett, an den Beinen hat er eine hellbraune Hose. Seine Füße stehen in braunen etwas abgelatschten Halbschuhen. Mit Todesverachtung schlägt er die Hamburger Morgenpost auf und beginnt halblaut zu kommentieren, was er liest. Dann sieht er auf und sagt: „49 Prozent der Deutschen haben keinen Weihnachtsbaum, steht hier. Ich habe noch nie einen Weihnachtsbaum gehabt – so’n Scheißdreck!“

Irgendwo zwischen anachronistischer Innerlichkeit, SIXTmas-Geschenkgeramsche und Scheißdreck mag jeder sein Weihnachten ansiedeln wo er will. Ich wünsche Ihnen und euch von Herzen ein schönes und besinnliches Weihnachtsfest.

Ihr und euer

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