Reiche Schlampe

Von Eva im Teppichhaus

Ich hab da so nen Tick. Also einen von vielen Ticks. Ich sammle lustige und/oder skurrile Postkarten. Das heißt, ich „sammle“ gar nicht so bewusst; ich kann nur in keiner Fußgängerzone und in keiner Buchhandlung an diesen verlockenden Kartenrollständern vorbeigehen, ohne die schönsten zu kaufen. Nicht, dass ich nun eine leidenschaftliche Brief- oder Kartenschreiberin wäre; die modernen Internetzeiten haben mir das Handschriftliche weitgehend abgewöhnt.

Früher, ja früher: da hatte ich ein Tagebuch zum Reinschreiben mit richtigen Buchdeckeln, die mit Seide bezogen waren. Noch heute verspüre ich dieses aufgewühlte vertrauliche geheimniskrämerische Gefühl meiner pubertären Vergangenheit, wenn ich die alten Tagebücher aufschlage. Irgendwann – es muss vor 12, 13 Jahren gewesen sein, als ich meinen ersten ganz persönlichen PC mein Eigen nennen durfte – begann ich, meine Gefühle und Gedanken in kühle Textdateien zu tippen. Klack-klack-klackerdicklack, und fertig war das digitale Abbild meines Innenlebens. Ja, das hat Vorteile: man verbraucht keine Tinte, kein Papier und kann kein Buch versehentlich rumliegen lassen, das niemand lesen soll. Man kann dem Geschriebenen jederzeit etwas hinzufügen an passender Stelle. Überhaupt erfolgt die Kommunikation bei mir fast nur noch per Handy und E-Mails.

Früher, ja früher: da war mein heutiger Fernbeziehungsehemann noch mein Fernbeziehungsfreund und wohnte ein paar Hundert Kilometer weit weg. Ihm schrieb ich jede Woche eine Postkarte oder einen Brief, oft mit echten Kussabdrücken aus Lippenstift drauf, oder mit einer Spur meines Parfums, das ihm so gut gefiel. Da war der Postbote der einzige Fremde, der von meinen Liebesbezeugungen und meinen privaten Gefühlen etwas wusste.

Heutzutage geistert alles Mögliche durchs WWW: Liebesschwüre, Vorwürfe, Beziehungsprobleme, Cybersexlogs, Skype-Gespräche, Geschäftsvereinbarungen, Werbung, Kontaktanzeigen … und kein Schwein weiß wirklich, wer all das lesen kann oder sogar tatsächlich liest. Und vielleicht speichert, dem Zugriff des ahnungslosen Betreffenden für alle Zeit entzogen, vervielfältig- und für diverse Zwecke verwendbar, und sei es nur zur Pflege persönlicher Animositäten.

Aber egal, ich schweife ab. Ich wollte ja von meinen Postkarten berichten. Im Gegensatz zu digitalen Medien kann ich sie anfassen, in Kisten lagern und ab und zu amüsiert durchblättern. Meine Überlegungen, für welchen Empfänger diese oder jene Karte prima geeignet wäre, weil sie auf seinen Charakter, seine Lebensumstände oder gemeinsame Erlebnisse mit mir trefflich anspielt, bleiben stets hypothetisch. Niemals schicke ich eine ab.

Früher, ja früher: da hatte ich gute 10 Jahre lang eine echte Brieffreundin in Südafrika, mit der ich per Luftpostbrief kommunizierte. Da wurden schon mal echte Fotos von sich oder dem aktuellen Schwarm beigelegt oder Glitzermädchenkram auf die Seiten geklebt. Heute kann ich mich nicht mal dazu aufraffen, ein lächerlich kleines Postkartentextfeld mit Inhalt zu füllen. Wenn ich jemand wissen lassen will, dass ich an ihn denke, ist so eine SMS viel schneller getippt und kommt Sekunden später schon an.

Auf irgendeine Weise scheint mich diese moderne Art des Austauschs aber nicht zu befriedigen, sonst hätte ich ja nicht so viele Postkarten. Ich hab wohl ne Art analoger Nostalgie. Warum sonst horte ich trotz akuten Platzmangels Bücher, CDs, gar Schallplatten? Ganz einfach: Sie sind greifbar, fass- und anfassbar. Ich kann hin und wieder heimlich über Buch- und CD-Rücken streicheln, mich an ihrem Anblick erfreuen und in Erinnerungsfetzen sonnen: Aaaaah ja, das Buch hier hab ich damals am Strand von Matala gelesen…
Wie ein Gollum kann ich gedanklich vor mich hinraunen: Mein Schaaaaatzzzz! So, nun hab ich wieder den Sprung zur Postkartensammelei geschafft: Da geht’s mir nämlich genauso, wenn ich die verstaubte Kartenkiste von der Hutablage der Garderobe hole und die knallbunten kleinen Kunstwerke durchschaue: Mein Schaaaatzzzzz!!!

Sobald das Leben zu digital, zu abstrakt wird, beginnnt es mich erst zu verwirren und dann zu frustrieren. Das ist im Privaten dasselbe wie im Job. Wie gerne wäre ich keine Sozialarbeiterin, sondern eine Handwerkerin! Als Schreinerin beispielsweise könnte ich einen klaren Auftrag erhalten und erfüllen: Bau mir ein Nachtkästchen! Ich müsste eine bestimmte Menge Material berechnen, beschaffen und verarbeiten, und am Schluss stünde ein fertiges Nachtkästchen vor mir. Und ich könnte das Werkstattlicht löschen, das Tor schließen und zufrieden nach Hause gehen – Feierabend.

In meinem Beruf hapert es schon am klaren Auftrag. Die Klienten haben alle irgendwelche psychischen, sozialen, gesundheitlichen, wirtschaftlichen Probleme, bei deren Lösung man irgendwie behilflich sein soll. Die „Materialien“ sind Gesprächsführung, Begleitung, Vermittlung, Anleitung… aber was auch immer im Leben der Klienten danach passiert, lässt sich fast nie zweifelsfrei aufs eigene professionelle Handeln zurückführen. Und „fertig“ wird man sowieso nie. Wer wegen EINER Baustelle nach Hilfe schreit, bei dem tun sich bei näherem Hinsehen meist noch zwanzig andere Baustellen auf, die alle miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Leben, Menschen, Seelen sind für mich nicht greifbar genug. Zu abstrakt. Ich finde es z.B. ungleich schwerer, im Gespräch mit einem hochintelligenten Borderliner die wichtigsten Zwischen-den-Zeilen-Botschaften herauszuklamüsern, als mit einer Feile eine Möbelkante abzurunden. Natürlich könnte ich als Handwerkerin auch was anderes machen als Möbel. Handtaschen zum Beispiel. ENDLICH hab ich die Überleitung zu den Postkarten des heutigen Beutezugs geschafft, heureka! Das ist eine davon: kroko. Den Spieß einfach mal rumzudrehen, hat mich amüsiert und inspiriert. Köstliche Ideen krieg ich da!

– Ich zahl nächstes Jahr einfach mal keine Steuern, sondern schicke dem Finanzamt stattdessen ne saftige Rechnung. Auf Wunsch auch gerne mit Rechtsfolgenbelehrung und selbsterfundenen Paragraphen in verquastem Beamtendeutsch.

– Ich schlage meinen Schwiegereltern vor, dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer zu stellen, sondern einfach die Couch in den Tannenwald zu tragen.

– Ich werde zuhause ein, zwei Flaschen Wein leeren und dann sturzbetrunken in die Kneipe wanken. Und dort geh ich erst wieder weg, wenn ich nüchtern bin.

– Ich werde meiner Psychotherapeutin nach jedem ihrer Sätze die Gegenfrage „Und wie geht es Ihnen jetzt damit?“ an den Kopf werfen.

– Ich werde mein Auto beim TÜV vorfahren, nur um diverse Mängel am dortigen Prüfstand zu rügen, und dann stolz wieder nach Hause brausen.

– Ich werde nach langem Schlangestehen in der Bäckerei die Bäckereifachverkäuferin fragen: „Und, was darf’s denn bei Ihnen sein?“

– Ich werde beim Telefonieren die Höflichkeitsfloskeln einfach umdrehen. Gleich nach dem Abheben werde ich ein „Also, dann mach’s mal gut!“ in den Hörer schmettern und auflegen. Das hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass die Telefonate sich automatisch auf ein Fünfzigstel der üblichen Zeit reduzierten.

– Ich werde den Hausarzt auffordern: „Sagen Sie mal AAAAAA!“.

– Und anstatt bei Amazon was zu bestellen, werde ich ein paar Pakete mit Büchern und Postkarten hinschicken. Ohne Rücksendeadresse, weil ich für den ganzen analogen Kram ja eh keinen Platz habe zuhause. Aber meine Kontonummer würde ich angeben. Vielleicht krieg ich für meine Bücher und Karten ja von Amazon viel, viel Geld überwiesen. Und wenn ich dann endlich ne reiche Schlampe bin, kauf ich mir ne Krokodillederhandtasche.

Aber so wie ich mich kenne, habe ich beim Stadtbummel noch vor Erreichen des ersten Krokodilhandtaschenverkaufsladens ungefähr zwanzig Dutzend Postkarten entdeckt, die ich zwanghaft kaufen werde. Ohne sie jemals zu verschicken…

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