Remember?! Remember?! Roter November! … zur politischen (Re-)Konstruktion starker Formen des Widerstandes

von Paul Duroy

Seit mehreren Wochen fühlen sich Demonstrierende nunmehr auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern aufgerufen, die Börsen zu besetzen, “Occupy Wall Street“. Das ist alles sehr schick. Nur kommen die meisten wieder nicht. Und ich war auch noch nicht da.

Ich verspreche, das ich zumindest für meinen Teil nunmehr ein letztes Mal Stalin zitiere, der bekanntermaßen sagte, dass in Deutschland niemand jemals eine Revolution starten werde, weil auf dem Gras vorm Reichstag “Rasen betreten verboten!!“ stehen würde. Aber dazu ein bisschen weiter unten mehr.

“Occupy Wall Street“, das Problem ist das Label und die Marke, die sich daraus schöpfen lässt. Es war schon ein Renner, dass einer der Chefsprecher der Deutschen Sparkasse zum Dialog an die Occupy-Bewegung herantrat, wirklich geschockt aber war ich neulich eines Morgens beim Blick in die Tageszeitung, als ich eine ganze Seite voller Demo-Schilder und Guy-Fawkes-Masken sah und darunter das Label der “Volksbanken-Raiffeisenbanken“. Da spürte ich, dass da etwas ziemlich schiefläuft.

Denn auch wenn diese Werbung zeigen sollte, wie ethisch verantwortlich man als Volksbank doch sei und wie verbunden man sich als verantwortungsvolle Bank den “Bedenken“ der gleichnamigen Träger fühle, so sehr stank hier doch der Fisch vom falschen Ende her. Hier nahm sich eine Bank der Symbole des Widerstandes an (eignete sie sich an) und warb mit der Occupy-Bewegung. So ein klitzekleiner Schritt ist es immer auf dem gar nicht langen Weg vom Label bis zur verwertbaren Marke.

Occupy Wall Street ist eine ziemlich kuschlige Sache und das von allem Anfang an. Die Unternehmen und kapitalistischen Institutionen, auch der sich abkoppelnde Polit-Betrieb, sie alle kuscheln gern mit Occupy, und Occupy kuschelt zurück, oftmals natürlich, ohne es zu merken. Occupy ist etwas Nettes, das man auch auf Facebook ziemlich schnell “liken“ kann. Und wer dann doch Bock hat und am Samstag in der Metropole gerade nichts anderes zu tun, schnappt sich seine Guy Fawkes-Maske für 9.90 Euro von Amazon (gibts da auch billiger im Fünferpack, schaut mal nach: “Guy Fawkes-Maske“ bei Google, dritter Treffer gleich: “Shopping-Ergebnisse für: Guy Fawkes-Maske“) und geht zu Occupy. Ein Gutteil der Tantiemen für die Maske geht übrigens an die molochartige Time Warner Company, die die Lizenzen an der Maske trägt wegen des Filmes ‚V wie Vendetta“.

Occupy lässt sich auch schonmal eine Riesenrunde Freibier von einem Banker an der Börse in Frankfurt spendieren (so gelesen in der TAZ vom 27.10.), der Sympathie für die Demonstrierenden empfindet. Und als nächstes kommt Mitleid … hier wird einmal mehr der Widerstand eingekauft, um das dialektisch so notwendige radikal Entgegengesetzte einzukaufen und ins selbe Boot, ans selbe schlammige Ufer zu ziehen. So, wie eben der Kapitalismus funktioniert, indem er jegliches widerstrebende und obstruierende Gegenkonstrukt sich einverleibt.

Wer wie die Frankfurter Occupy-Bewegung zum vierten Samstag in Folge vom Städtischen Ordnungsamt Frankfurt brav gelobt wird (“Die Demonstrierenden verhalten sich wirklich sehr vorbildlich.“) und sich dann auch noch darüber freut wie Musterschüler Max über Lieblingslehrer Lämpelmanns Lob, muss fast notwendig erkennen, dass diese Form des Widerstandes irgendetwas noch sehr falsch angeht. Ein Lob vom Ordnungsamt für eine demonstrierende Bewegung … man stelle sich das einmal vor! Dieser Widerstand will im System bleiben und will sogar ein Lob dafür. Es müssen ja nicht gleich Barrikaden sein und das Ordnungsamt darf sicher weiter in aller Seelenruhe seine Knöllchen auch hinter den ein oder anderen Scheibenwischer eines herbeigereisten Demonstrierenden klemmen und Arm in Arm mit der Polizei und dem ein oder anderen rührseligen Banker und Manager die Demonstranten ein bisschen belächeln. Ist doch auchmal was anderes im altbekannten immergleichen Börsenbetrieb zwischen Zeilgalerie und Taubenstraße.

Jeder Widerstand hat die Form, die er verdient und die er sich selber prägt. Der echte Guy Fawkes wollte das House of Parliament in die Luft sprengen, die facebook-people dagegen setzen Masken auf und setzen sich vor die Börse oder vor eine Bank, campen ein bisschen zur Lagerfeuerromantik und pennen in kalter Nächten (dies ja doch) draußen vor der Börse. Sie sollten aber IN der Börse schlafen, DAS! wäre eine Form der Aneigung kapitalistischer Symbole durch den radikalen Widerstand und nicht umgekehrt. Wie die Menschen aus Ost-Berlin damals das Stasi-Hauptgebäude an der Normannenstraße okkupierten und plünderten, so müssten Demonstranten die Bankenviertel plündern und besetzen. Aber dafür reicht es hier noch lange nicht. Insofern ist Occupy der notwendig niedlich-nette Kuschelwiderstand mit Wohlfühl-Label, eine Sammelbewegung politisch diffusen Unbehagens, die irgendwie fast jeder liebhat.

So entsteht noch keine klare Frontstelllung. Eine solche Bewegung spiegelt allerdings bereits eine zum Ausdruck gebrachte Unsicherheit. Aber sie ist noch zu naiv und baut allein auf Formen politischer Schwarmdynamik (“wir sind die 99 %“), die nichts bewirken und eine Majorität konstruieren und für sich reklamieren, die in Wirklichkeit aber zuviele divergente Stimmen beinhaltet und notwendig moderat und zerrissen enden muss. Hier wäre weniger mehr. Unzufrieden können auch 50 Prozent mit richtiger Scheißwut im Bauch sein und das System verändern.

Es muss auch nicht notwendig jeder mit dem Stein in der Hand, der Schaufel und einem Barrikadenholz Richtung Regierungsviertel ziehen. Aber die Schaffung revolutionären Bewusstseins, die Bewusstbarmachung der Problematik des herrschenden Systems, das ist vor allen Dingen einmal wichtig. Das ist dieser neue Diskurs des Verlustes des Selbstverständlichen und des schon auf ewige Zeiten festgefügt geglaubten Finanz- und Kapitalsystemes. Dass das alles jetzt so rapide wegbricht und prekär wird und endlich auch die ersten bisher denk-resistenten Charaktere merken, dass die alleinige blinde Flucht in den Konsumismus die nagenden Fragen nicht beseitigt. Nagende Fragen lassen irgendwann Autos brennen und setzen noch harmlose Brandsätze an Bahngleise … aber irgendwann nagen diese Fragen fast notwendig tiefer und fester an allen Beteiligten. Ob in überschießender Wut, oder ratlosen Zeltabenden im Bankenviertel oder ein Brandsatz, der das System zerschlagen will, aber vorerst nur einen BMW verbrennt: all diese nagenden Fragen kommen und kommen und bleiben und sind auch gar nicht anders zu beantworten, auf längere Sicht, als durch die radikale Tat.

Das wirklich Zufriedenstellendste ist, dass fast rundweg in allen Medien der moderate Wischi-Waschi-Diskurs all dieser vielen und viel zu langen Jahre von zuvor nach und nach wegbricht. Dass die Sprache wieder radikaler wird. Dass dieser System-Sprech und die unsicher-verzagte Moderation auch bundesrepublikanischer Sicherheitsbefindlichkeiten ins Hintertreffen gerät, die immer so klang und leider oft noch klingt: “Aber in Deutschland geht es uns doch noch vergleichsmäßg gut. Wer will denn auf Deutschland schimpfen? So schlecht ist unser Regierungssystem im übrigen gar nicht.“ Möge die Zeit über diesen gefährlichen politischen Biedermeier-Quietismus hinwegrollen.

Wer versteht noch, was in Banken und Börsen gehandelt wird? Dass Europa niedergeht, Griechenland platt ist, wie die Politik versucht, das Chaos wieder einigermaßen ins rechte Lot zu bocken: wer versteht das denn noch?! Nicht einmal die Politiker selbst … die winken und winken nur noch die Gelder durch. Was ist denn das für eine Politik? EFSF…extrem fake, super-fake! ESM, Finanzstabilisierungsfaszilität … wie weit sind die eigentlich weg von uns … und der Realität? Die Medien können dazu nur noch kommentierend lamentieren, weil sie es selbst nicht mehr verstehen und auch zunehmend spüren, dass man dem Bürger mit so einem Mist nicht mehr zu kommen braucht. Die Politik selbst versteht natürlich auch nicht mehr, was sie da eigentlich tut und tritt müde und frustriert aus New-Economy-Briefings in entseelten Konferenzräumen, um weiter willig Gelder zu transferieren in die falschen Taschen.

Natürlich ist es da nun an der Zeit für die richtig große Rassel. Natürlich wird und muss es da knallen. Wir brauchen Basisdemokratie, wir brauchen liquid democracy, wir distanzieren uns massiv von der repräsentativen Demokratie, die in Wahrheit eine finanzgesteuerte Oligarchie ist und für willige bundesrepublikanische Wählerschäfchen taugt, nicht aber für mündige und aufgeklärte Weltbürger.

Wir distanzieren uns von der Lobby-Politik, die mit den Wirtschaftsbossen und der hohen Finanz in denkwürdigen high-office-relations ins Bett geht und uns das schäbige Ergebnis dann als “notwendige Strukturpolitik“ verkauft. Wir brechen mit der repräsentativen Demokratie, die uns nur verwaltet und knechtet und dienstbar macht für das System.

Wir brechen mit der Art und Weise, wie nur über uns verfügt, statt mit uns regiert wird. Ganz wie Küppersbusch es neulich wieder in der TAZ sagte, sind wir wie Stimmvieh gewesen, das alle vier Jahre seine Stimme ab-gibt, um dann wieder ganze vier verdammte Jahre lang stumm zu sein!

Da wählt man rot oder grün und holt sich dann die Schwarzen ins Boot und bekommt eine Stadtautobahn oder einen Tiefbahnhof vor die Haustür gesetzt, das verkaufen die uns dann als notwendige Infrastruktur, als Investitionspolitik, als Wachstumspolitik. Da werden Befindlichkeiten erdrückt und Bedenken wie einstmals grüne Landschaften mit dem Bulldozer hinweggeschoben. Das ist die Politik all dieser Jahre, das ist die Politik, die uns belogen hat und die unser Einverständnis immer erst im Nachhinein (wenn überhaupt) einholt, wenn schon alle Karten gelegt sind.

Wir fordern dagegen eine plebiszitäre Rätedemokratie. Wir fordern eine radikaldemokratische Politik ein, die den kapitalgesteuerten Leitreflexen der alten “Demokratie“ abschwört. Wir fordern und lösen ein das Ende einer Politik, bei der in entscheidenden Situationen der Ausgang immer gewiss war: dass das Kapital wieder siegt, dass das politische System dem Kapital wieder eine gemütliche und ihm genehme Nische einrichtet. Dem allen schwören wir ab.

Die Formen des Widerstandes gegen das auseinanderbrechende System werden notwendig noch schärfer werden. Erst wenn Demonstrierende in den Banken und Börsen schlafen statt draußen auf der Parkwiese mit amtlichem Plazet des Ordnungsamtes zu campieren, ist das alte Unterdrücker-System wirklich besetzt. Dann können wir unsere stolzen strahlenden individuellen Gesicher lächelnd ohne Masken im echten Leben herumtragen und euren “echten“ Gesichtern bei facebook die Guy-Fawkes-Maske aufsetzen…und zwar für immer, denn nur DORT solltet ihr die Masse der Anonymen sein! Im echten Leben aber, beim Sturm auf die Systeme, soll jeder seinen Namen und sein Gesicht stolz vor sich herzeigen.

Macht euch den Widerstand bewusst, findet eure Form des Bruchs mit dem System und handelt entsprechend…

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