Wenn die Occupybewegung am Kröpke in Hannover steht

Am Treffpunkt gegenüber dem Hauptbahnhof stehen junge Leute mit großen weißen C&A-Schirmen mit der Aufschrift „28 %“. Gemeint ist aber nicht, dass C&A 28 Prozent der Occupybewegung repräsentiert, sondern einen solchen Preisnachlass gewährt. Ein Mann, den ich flüchtig kenne, trifft ein und sieht sich ratlos um. Er hat ein beschriftetes Pappschild bei sich und will offenbar demonstrieren. Wir beraten uns kurz, dann zückt er sein Handy und ruft einen der Organisatoren an. Man treffe sich diesmal am Kröpke, erfährt er, und wenn wir Kreide bei uns hätten, sollten wir eine Nachricht auf den Boden schreiben. Haben wir nicht. Auf dem Weg zum Kröpke kommt uns durch das Gewimmel der samstäglichen Bummler der grauhaarige Mann entgegen, der bei allen Demonstrationen ein Schild mit der Aufschrift „Nachdenkseiten.de“ umherträgt. Wir halten ihn auf und nehmen ihn mit.

Es ist der 3. Samstag der Occupybewegung in Hannover, und Occupy steht in der Georgstraße, nahe Kröpke. Bald beginnen die Statements, und sie sind so unfertig und diffus wie an den zwei Samstagen zuvor. Eine Frau klagt an, bei der Arbeitsagentur würden Migranten schikaniert, die Arbeitsagentur maße sich Rechte der Ausländerbehörde an. Eine zweite ergreift das Mikrophon und protestiert gegen die Strom- und Gaspreiserhöhungen der Stadtwerke Enercity. Dann verweist sie noch auf das Regiogeld und weitere Initiativen, nennt ihre Internetadressen und erklärt, man müsse übrigens nicht Google für die Internetrecherche benutzen, sondern Suchmaschinen wie MetaGer und … andere nichtkommerzielle Suchdienste. Mein flüchtiger Bekannter hält einen längeren Vortrag und wird anschließend von einer Frau gescholten, er habe nur männliche Formen benutzt. Eine dickliche Frau beschwert sich, sie und ihre Kinder müssten krank machendes Fleisch essen. Ein junge Frau erklärt, sie sei in der DDR aufgewachsen und jetzt Mitglied der Linken. Anschließend entwickelt sie die Idee, wie der Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern wäre, über die Partnerwahl nämlich. So solle ein Arbeiter eine Arbeiterin heiraten, ein Banker eine Bankerin usw. Das klingt plausibel. Wenn Frauen, die Unsinn erzählen, jemanden heiraten, der ebenso Unsinn erzählt, bleibt der Quatsch in der Familie. Eine Bundestagsabgeordnete der Linken erzählt nichts Neues über das windige Verhalten von Jürgen Trittin (Die Grünen) im Bundestag.

Das geht eine gute Stunde so. Selten habe ich soviel Unausgegorenes am Stück gehört. Ich warte ungeduldig darauf, dass der Protestmarsch losgeht. Aber dann sagt einer der Organisatoren, man habe sich entschlossen, diesmal keinen Protestzug zu machen. Stattdessen sollten die Leute mit Kreide eine Botschaft auf die Fußgängerzone schreiben. Und man wolle gemeinsam skandieren: „Leute lasst das Shoppen sein, reiht euch in die Demo ein!“ usw. Einer kommt auf die Idee, ein umgetextetes Lied als Kanon singen zu lassen, teilt die Demonstranten in linke Seite und rechte Seite und stimmt an. Viele singen nur halbherzig mit, und zu Recht sagt der Mann von den Nachdenkseiten nachher ins Mikrophon, die Singerei empfinde er als aufgezwungen. Ich habe für heute genug. Da tröstet mich auch nicht, dass man zum Schluss Mitarbeiter für eingerichtete Arbeitsgruppen sucht.

Eins ist mir klar geworden. Eine Bewegung darf nicht stehen bleiben. Heute hat man sich eher lächerlich gemacht in dem hilflosen Versuch, von den samstäglichen Bummlern gehört zu werden. Zu viele Leute wollen ihr eigenes Süppchen kochen, sind aber nur bemühte Autodidakten und agieren aus dem Bauch. Die Herrschenden dieses Planeten verfügen über die geballte Medienmacht, haben teuer eingekaufte professorale Mietmäuler, halten sich geschmierte Politiker und ausgewiesene Experten für Desinformation und Propaganda. Occupy aber steht mit selbst bemalten Pappschildern in der Fußgängerzone und inszeniert die eigene Hilflosigkeit. Was enthusiastisch begann, ist zum Stillstand gekommen. Wäre ich Finanzjongleur oder neoliberaler Politiker, ich würde mich köstlich amüsieren über einen derart schwachen, zerfaserten Protest.

Gibt es noch Hoffnung? Wo sind eigentlich die Intellektuellen, wo die Künstler, wo die Musiker, wo die Schriftsteller? Ohne sie geht es erkennbar nicht.

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