Brrrrr! Frank Schirrmacher umarmt die Netzgemeinde

Hm, jetzt weiß ich gar nicht, was ich eigentlich schreiben wollte. Entschuldigen Sie, werter Leser, es ist mir ausgesprochen peinlich. Eben sitze ich vor dem Rechner, habe ein hübsches Bild im Kopf, will es ebenso hübsch in Sprache fassen, zack, Filmriss. Aber ich bin quasi schuldlos, denn ich habe ein fast zweieinhalbstündiges Gespräch mit Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), dem Blogger Fefe (Felix von Leitner) und dem Chaos-Computer-Club-Sprecher Frank Rieger gehört. Ich habe ein bisschen über Schirrmacher gestaunt, dann aber verstanden, warum er die beiden Moderatoren liebevoll umarmt hat.

Man muss wissen, der FAZ sterben leider die Abonnenten weg. Deshalb bemüht man sich schon lange, junge Leser zu gewinnen, nicht nur Fefe und Frank. Die FAZ beteiligt sich seit Jahrzehnten an einer ganzen Reihe von Zeitungsprojekten, „Zeitung in der Schule“, „Jugend und Wirtschaft“, „Jugend und Umwelt“. Innerhalb der Projekte bekommen die Schüler täglich die FAZ bis zu einem Jahr frei Haus. Die Lehrer erhalten didaktisches Material zum Thema Zeitung, und die beteiligten Schulklassen oder Kurse dürfen für die FAZ oder für die FAS schreiben. Das bringt gewiss Zugewinn an jungen Lesern, doch er reicht offenbar nicht aus, das unverantwortliche Wegsterben der alten FAZ-Leser zu kompensieren.

Schirrmacher ist ein kluger Mann. Während der der Schriftsprachpapst der Journalisten, Wolf Schneider, noch auf Bloggern herumhackt, wanzt Frankieboy Schirrmacher sich an die Piraten, den Chaos-Computer-Club und überhaupt an die Netzgemeinschaft ran, schmeichelt Fefe und Frank durch seine Anwesenheit, stimmt ihnen fast liebedienerisch in allem zu, aber vergisst nicht, die wichtige Rolle der FAZ, beziehungsweise seine wichtige Rolle im dringend nötigen gesellschaftlichen Diskurs zu betonen, wenn es nämlich um die Frage geht, was kommt nach dem zu erwartenden Crash, doch hoffentlich nicht der Weltuntergang oder noch schlimmer: Er muss auf dem Schwarzmarkt eine ledergebundene Goethe-Ausgabe gegen ein Butterbrot eintauschen.

Gelernt hat Schirrmacher im Gespräch mit den beiden Internetexperten auch etwas, dass man im Internet sich „interessant“ zu präsentieren habe, sonst gehe die Aufmerksamkeit sofort flöten. Gute Idee, fand Schirrmacher, muss man erst mal drauf kommen. Wir dürfen also eine „interessante“ zukünftige FAZ befürchten. Es hat eine ziemliche Weile gedauert, bis man im Printmedium darauf gekommen ist, das Nebeneinander zwischen Blogs und Printerzeugnissen als Win-win-Situation zu nutzen. Und es scheint seltsam, dass ausgerechnet die konservative FAZ hier vorangeht, aber es ist folgerichtig. Denn die FAZ hat immer an den bürgerlichen Tugenden gehangen und sieht sich jetzt von jenen enttäuscht, deren hohes Lied sie Jahrzehnte gesungen hat. Das Finanzkasino interessiert sich nicht für bürgerliche Tugenden, sondern wettet weiter unverdrossen ganze Staaten in den Abgrund.

Schirrmacher hat auch Angst vor aufstrebenden Populisten wie Hans-Olaf Henkel, der eine Bauernfängerpartei gründen oder die marode FDP okkupieren will. Die Sorgen haben also jetzt den gehobenen Mittelstand erreicht, Herausgeber und Leser der FAZ nämlich. Und wenn man da die bürgerlichen Tugenden und die Achtung vor dem Grundgesetz vermisst, nur zu, seid demütig, steht zu eurer Mitschuld am Verfall unserer Demokratie und reiht euch in die Occupy-Protestbewegung ein. Aber die Herrschaft über unsere Köpfe wollen wir ab jetzt behalten, sonst füllt man uns wieder zuviel Scheiß hinein. Wie das geht, hat Schirrmacher am rotwangigen Arschgespann Fefe und Frank wunderbar demonstriert. Er hat auch gezeigt, wie unfertig Internetexperten noch sind, indem sie jegliche Distanz zu ihrem Interviewpartner vermissen ließen und nur als Stichwortgeber agierten. Sie hätten ja wenigstens mal fragen können, was Schirrmacher nach seiner wunderbaren Wandlung vom Saulus zum Paulus mit den neoliberalen Betonköpfen der FAZ-Wirtschaftsredaktion machen will. Wohin mit denen? Komplett in die Sportredaktion versetzen? Das darf man dem Sport nicht antun. Dann doch lieber Rätselecke.

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