Plausch mit Frau Nettesheim – Über Blogs, Facebook, digitale Fernkommunikation und „Meldedoofheit“

Frau Nettesheim
Zuerst beleben Sie Ihr altes Format „Abendbummel online“ wieder, und nach vier neuen Folgen kommt nichts mehr?

Trithemius
Ich brauche Mitbummler, Frau Nettesheim, damit ich das Format schreiben kann. Aber das Bloggen hat sich in den letzten sechs Jahren verändert, hat viel von seiner Lebendigkeit eingebüßt. Wenn man unabhängig von einer Plattform wie blog.de oder twoday.net bloggt, kommt erschwerend hinzu, dass die Leser sich für einen Kommentar anmelden müssen. Das ist vielen zu lästig.

Frau Nettesheim
Man kann sich bei WordPress-Blogs doch als Nutzer anmelden.

Trithemius
Das machen nur wenige. Es überwiegen die Spammer, die mir ihre kommerzielle Jauche ins Teppichhaus gießen wollen und in den Kommentaren nur dumme Floskeln ablassen, die sich nicht auf Inhalte beziehen.

Frau Nettesheim
Darum sind sie trotz vorher bekundeter Ablehnung jetzt doch bei facebook aktiv?

Trithemius
Ja, und wenn ich dort einen Text aus dem Teppichhaus verlinke, kommentieren sogar Leute, die sich schon ewig nicht mehr im Teppichhaus haben sehen lassen. Das geht bei facebook viel einfacher. Allerdings drücken manche auch nur den „Gefällt-mir-Button“. Insgesamt ist innerhalb weniger Jahre das eingetreten, was Paul Duroy „Meldedoofheit“ nennt. Im Sommerloch wird erwartbar wenig kommentiert. Aber ich beobachte, dass dieses Phänomen in vielen Blogs grassiert, unabhängig von der Jahreszeit. Ich habe das schon im Januar 2007 vorausgesehen in einer Kommentarantwort an einen Administrator von Blog.de:

„Es ist kurzsichtig, zu sehr auf die Boulevardisierung zu setzen. Da gibt es zwar rasches Wachstum, doch es ist nicht von Dauer. Blogs sind Zwitter, sie leben von Resten der Buchkultur. Auf Dauer werden sie versacken, wenn man keine neue Qualität hineinbringt. Denn es wachsen Generationen heran, die mit der Buchkultur nichts mehr im Sinn haben.“

Aber dieses Phänomen ist viel rascher aufgetreten als ich gedacht habe. Man kann sagen, der Lack ist ab. Denn facebook bezieht die Menschen viel stärker ein, dringt mit Nachdruck in ihr Leben und verändert es, macht es quasi facebook-kompatibel. Facebook ist das ideale Instrument für eine völlig durcheinander gewirbelte, auseinanderdriftende Gesellschaft, die in Teilen nur noch durch Fernkommunikation zusammengehalten wird.

Frau Nettesheim
Oje, das hört sich resignativ an.

Trithemius
Nein, ich versuche nur, die Entwicklung realistisch zu sehen. Im November blogge ich sechs Jahre, und seit den lebendigen Anfängen ist das wichtige Kommentargeschehen beständig zurückgegangen. Zum Jahrestag des Teppichhauses will ich endlich das neue Teppichhaus offiziell eröffnen und noch einmal ein Internetexperiment machen, um die Qualität dieses interaktiven Mediums zu zeigen wie in den Lesenächten und anderen Gemeinschaftsaktionen. Im November 2012 werde ich aber aufhören, so intensiv zu bloggen. Danach geht die Welt sowieso bald unter, wenn man den Maya-Kalender-Exegeten glauben kann. Vor drei Jahren hat es nicht geklappt mit dem Weltuntergang. Aber wir arbeiten daran.

Apokalypse-mit-Musik
Fotos, Text, Animation: Trithemius – Erstveröffentlichung am 2.September 2008

Frau Nettesheim
Machen Sie mal einen Spaziergang, Trithemius, bevor Sie mich allzu sehr nerven.

Trithemius
Sie sorgen sich doch nur um Ihren Posten als Teppichhausfilialleiterin, Frau Nettesheim.

Frau Nettesheim
Da ist die Tür!

EDIT: Mein facebook-Konto habe ich wieder gelöscht.
Es war mir dort zu anstrengend.

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45 Kommentare zu Plausch mit Frau Nettesheim – Über Blogs, Facebook, digitale Fernkommunikation und „Meldedoofheit“

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