Über Internetspionage und Internetlöschungen

Im Zug von Aachen nach Köln unterhielten sich zwei Erstsemester laut über Beziehungsprobleme, die über Facebook entstehen und über Facebook ausgetragen werden. Der schwule Freund des jungen Mannes hatte sich unmöglich benommen. Obwohl er ON war, habe er eine Botschaft einfach ignoriert und mit anderen weiter gechattet. Der Junge verdächtigte seinen Freund jetzt der Untreue. Die Studentin neben ihm riet: „Sag, er soll dir sein Handy geben, und wenn er sich weigert, weißt du, was los ist.

Daran werden zwei Erscheinungen deutlich:

1) Die neuen Möglichkeiten der Fernkommunikation verlocken nachzuschauen, was der Partner, die Partnerin im Internet oder per SMS treibt. Vor dem Aufkommen der digitalen Fernkommunikation gab es auch schon Möglichkeiten der Spionage, das Durchsuchen der Taschen beispielsweise. Aber da fand man vielleicht nur spärliche Indizien oder gar nichts. Außerdem ist die Hemmschwelle höher, weil man dabei erwischt werden kann und überhaupt die Taschen eines Partners mit einem höheren Tabu belegt sind. Internetspionage dagegen geht vom eigenen Rechner aus, weshalb das Unrechtsbewusstsein nicht hoch ist. Und bei gesunkenem Unrechtsgefühl findet man dann offenbar nichts mehr dabei, das Handy als Indizienbeweis einzufordern. Allerdings ist selbst kein Fund kein Beweis und nicht geeignet, das Vertrauen wiederzubringen.

2) Beziehungen verlagern sich immer stärker in die Fernkommunikation, werden in Teilen geführt über Telefon, Handy, SMS oder verschiedene Erscheinungen des Internets. Der Grund lässt sich auf den Bahnhöfen großer Städte beobachten, wo das Gerenne und Geschubse zunimmt, weil die ganze Gesellschaft durcheinander gewirbelt ist. Arbeitsmarkt und Arbeitspolitik verlangen mobile Menschen. Wer zu Hause keinen Job findet, muss bereit sein, den Lebensmittelpunkt zu verlagern, und wenn in einer Partnerschaft beide berufstätig sind, ist damit eine räumliche Trennung verbunden. Eine mobile Gesellschaft vermehrt die Fernbeziehungen. Die Betroffenen versuchen ihre Beziehung über die diversen Kanäle der Fernkommunikation zu stabilisieren. Aber genau diese Hilfsmittel können auch eine Beziehung destabilisieren, indem sie Verdachtsmomente schaffen und beunruhigen, wie das Beispiel zeigt.

Nachdem ich etwa eine halbe Stunde hören musste, wie der Junge minutiös verschiedene Facebook-Dialoge schilderte, die dann jedes Mal von beiden pseudopsychologisch analysiert wurden, hörte ich noch etwas wirklich Interessantes. Das Mädchen erzählte, seine Oma habe gefragt:

„Kann man diese E-Mails auch sonntags verschicken?“

und auch habe sie einmal gesagt:

„Hilfe!!! Ich habe das Internet gelöscht!“

Beide Sätze kursieren schon im Internet, sind eine neue urbane Sage.

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