„Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche“

… dichtete der wunderbare Fritz Weigle, besser bekannt als F.W. Bernstein. Vor einigen Tagen schnellte meine Besucherstatistik hoch, denn ich hatte gewagt, über nervige Erscheinungen beim Poetry-Slam zu schreiben, und ein Freund hatte das über Facebook vermeldet. Natürlich hatte ich polemisiert und während des Schreibens schon gedacht, dass man mich schelten würde. Und wenn auch die teils heftigen Kommentare quasi daneben zielten, so wusste ich, dass ich auch nicht alle meine Texte gut finde. Das geht mir so, wenn ich in den Archiven hier und hier einen alten Text wiederfinde und denken muss, so würde ich das heute nicht mehr schreiben. Zum Glück ist Schreiben ein Prozess. Wer viel schreibt, lernt ungemein dazu. Aber manchmal bin ich auch neidisch auf eine Schreibweise, die ich früher präsent hatte, jetzt aber nicht. In jedem Fall ist es nützlich, die eigenen Texte aus der Distanz zu sichten. Man sieht rasch, was gut oder schlecht ist, weshalb Horaz die Neuner-Regel ausgab:

„Und neun Jahre werde es zurückgehalten, um zu prüfen,
ob es etwas tauge.“

Heute will keiner mehr neun Jahre warten. Wir alle stricken mit der heißen Nadel. Aber gerade deshalb ist Selbstkritik nötig und auch fremder Rat manchmal hilfreich. Ich glaube, das neue Medium Poetry-Slam ist noch gar keine Kritik gewöhnt, denn anders als Blogs werden Poetry-Slams von den Leitmedien gerne wahrgenommen und entsprechend hochgejubelt. Und das Poetry-Slam-Publikum jubelt sowieso. Die Leitmedien haben rasch erkannt, dass Slams keine Konkurrenz darstellen, und was das Fernsehen betrifft, lassen sich Poetry-Slams leicht vereinnahmen. Nachdem die TV-Anstalten jahrelang den Comedian-Dünnpfiff gepflegt haben, ist ihnen mit den Slams ein Format geschenkt worden, das wenigstens den Anschein von Kultur hat. In der Tat ist es erfreulich, dass überwiegend junge Menschen ihre Form von Dichtkunst an ein junges Publikum weitergeben, was überwiegend aus den Jahrgängen besteht, die den geringsten TV-Konsum haben. In diesem Sinne ist der Poetry-Slam eine Graswurzelbewegung. Er erfüllt ein Bedürfnis, das vom Fernsehen nicht bedient wurde. Offenbar halten aber die Programmmacher beim Fernsehen die Slams nicht für massentauglich, sonst würden sie ihnen bessere Programmplätze zuweisen.

Vermutlich sind sie das auch nicht, denn Slams benötigen ein wohlwollendes Publikum sowie die Bühnenatmosphäre. Das Wesen eines Poetry-Slam-Abends ist die weitgehend überraschende Mischung von guten und schlechten Vorträgen, die miteinander konkurrieren. Das bedeutet, man braucht als Zuschauer ein wenig Geduld, man muss auch miserable Texte ertragen. Und es kann sogar passieren, dass die nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Juroren daneben liegen mit ihrer Bewertung. Da die Slam-Szene nicht kritisiert wird, gibt es auch nur schwammige Beurteilungskriterien. Man solle „Aufhören!“ oder so was rufen, wenn ein Slammer einen Text vorträgt „der niemals hätte geschrieben werden dürfen“, ist die launige Regel, die von den Moderatoren genannt wird. Ich habe schon manchen Text gehört, der zwar hätte geschrieben werden, doch besser nicht zum Vortrag hätte kommen dürfen. Aber nie hat das Publikum mit völliger Ablehnung reagiert. Man ist tolerant und will sich unterhalten lassen.

Es erhebt sich die Frage, ob es überhaupt nicht nötig ist, Beiträge von Poetry-Slams zu kritisieren, wenn sie reine Unterhaltung sind. Braucht das Medium gar keine Kritik? Wollen Slammer sich lieber direkt im Dichterhimmel sehen, wenn sie grad mal einen sechsminütigen Text auf die Reihe gekriegt haben? Es muss ihnen doch an Qualität gelegen sein, schon deshalb, weil sie ständig mit Kollegen im Wettstreit sind. Nachdem ich schon recht viele Slams besucht habe, könnte ich ein paar Hinweise geben, womit sich die Qualität der Texte steigern lässt. Selbstverständlich sind meine Ratschläge subjektiv. Aber als Besucher von Poetry-Slams fühle ich mich berechtigt, Dinge zu benennen, die mich nerven. Ich bin schließlich Kunde:

– Berichte nicht über deine Schreibhemmung – das haben einfach schon zu viele vor dir gemacht. Man kann es nicht mehr hören oder lesen.
– Rede nicht immer nur von dir und eventuellen Seelenqualen und beklage nicht die Welt. Das nur sich Beklagen hat etwas Kleinmütiges.
– Nimm auch gesellschaftspolitische Themen auf. Beobachte den Alltag. Verschaffe dir einen weiteren Horizont über deinen Nabel hinaus.
– Bitte jammere nicht, dass du jetzt leider zu den über Dreißigjährigen gehörst. Das haben schon Milliarden von Menschen erlebt und ist echt keine Neuigkeit mehr.
– Bei der Sprachspielerei nimm nicht jeden billigen Witz auf. Oft bieten sich Witze an, die jedermann einfallen könnten. Die ganz weglassen.
– Mache keine Witze mit Personennamen, das gehört in den Kindergarten und ist unter intelligenten Menschen verpönt, weil sich niemand seinen Namen aussuchen kann.
– Unreine Reime sind besser als Reime, die man schon tausendmal gehört oder gelesen hat. Reine neue Reime sind hohe Kunst.
– Erzähle nicht, dass du dir den Text erst kurz vor dem Auftritt aus dem Ärmel geschüttelt hast. Das ist eine alberne Attitüde. Bessere Autoren als du sind viel bescheidener (Siehe die Neunerregel des Horaz).

Mit freundlichem Gruß,
Trithemius

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