Warum einige sich besaufen und ein Frauenröckchen tragen

Jeden Samstag ziehen marodierende Haufen von Trunkenen und Betrunkenen durch unsere Städte. Die jungen Männer tragen eine Sorte Uniform, etwa gleiche T-Shirts mit der Aufschrift: „Wer ist der Depp?“ oder „Selbst ich habe eine abbekommen“ oder „Mach mich für meine Braut zum Affen“. In den Niederlanden sah ich einmal einen Kandidaten, der musste seinen grölenden Kumpels auf der Terrasse vor einem gut besuchten Café heiße Bitterbollen servieren. Er war am ganzen Körper rasiert und nur mit einem Elefantenrüsselslip bekleidet.

Den Anführer des Haufens kann man leicht erkennen. Er ist entweder halbnackt oder trägt ulkige Frauenkleidung oder beides. Die anderen folgen ihm nach wie Kälber, die hinter einem Karren angebunden sind. Dieser Karren befördert Flaschenbier und Spirituosen. Gerne lungert man vor Hauptbahnhöfen herum oder auf öffentlichen Festivitäten, in der Hoffnung, andere Haufen zu treffen, die aus dem Umland anreisen. Die weiblichen Haufen folgen einer mit Schleifen- und Girlanden geschmückten jungen Frau. Sie trägt einen Bauchladen mit Dingen, die man nicht haben möchte, und versucht sie zu verkaufen, wobei die Floskel gesagt wird: „Für einen guten Zweck.“ Etwas aus dem Rahmen fiel ein Haufen, den ich kürzlich vor Hannovers Hauptbahnhof sah: Man hatte lediglich aus Zeitungspapier gefaltete Dreispitze auf dem Kopf, in Krisenzeiten gewiss beispielhaft.

Man erspare mir, die unzähligen Varianten zu beschreiben. Es hat sich um das Brauchtum des Junggesellenabschieds ein ganzer Wirtschaftszweig entwickelt. Es unterscheidet sich von den bisherigen Hochzeitsbräuchen durch seine überregionale Verbreitung. Die Kommerzialisierung (klick da mal) heizt den Brauch an, weshalb er quasi nicht mehr aus dieser Welt zu schaffen ist, falls keine Steuern darauf erhoben werden oder eine EU-Verordnung ihn verbietet, weil alle die Lampen an haben.

Kürzlich habe ich festgestellt, dass mich diese trunkenen Gruppen seltsam anrühren. Man kann ihnen das exzessive Trinken nicht verübeln, denn es wird immer schwieriger, dem Alltagsstress zu entkommen, und wenigstens an so einem letzten Tag des Junggesellendaseins muss das gelingen. Denn vermutlich ahnen alle, dass eine Heirat noch weit mehr Druck in das Leben der beiden Delinquenten bringen wird.

Heute sandte mir Jeremias Coster einen Text zu. Er gab keinen Autor an. Vielleicht handelt es sich wieder um einen dieser vagabundierenden Texte:

Eines Tages entschloss sich der Wahnsinn, seine Freunde zu einer Party einzuladen. Als sie alle beisammen waren, schlug die Lust vor, Verstecken zu spielen. „Verstecken? Was ist das?“ fragte die Unwissenheit. „Verstecken ist ein Spiel: einer zählt bis 100, der Rest versteckt sich und wird dann gesucht“, erklärte die Schlauheit. Alle willigten ein bis auf die Furcht und die Faulheit.

Der Wahnsinn war wahnsinnig begeistert und erklärte sich bereit zu zählen. Das Durcheinander begann, denn jeder lief durch den Garten auf der Suche nach einem guten Versteck.
Die Sicherheit lief ins Nachbarhaus auf den Dachboden, man weiß ja nie.
Die Sorglosigkeit wählte das Erdbeerbeet.
Die Traurigkeit weinte einfach so drauf los.
Die Verzweiflung auch, denn sie wusste nicht, ob es besser war sich hinter oder vor der Mauer zu verstecken.
„…98, 99, 100!“ zählte der Wahnsinn. „Ich komme euch jetzt suchen!“

Die erste, die gefunden wurde, war die Neugier, denn sie wollte wissen, wer als erster geschnappt wird und lehnte sich zu weit heraus aus ihrem Versteck. Auch die Freude wurde schnell gefunden, denn man konnte ihr Kichern nicht überhören. Mit der Zeit fand der Wahnsinn all seine Freunde und selbst die Sicherheit war wieder da. Doch dann fragte die Skepsis: „Wo ist denn die Liebe?“ Alle zuckten mit der Schulter, denn keiner hatte sie gesehen. Also gingen sie suchen. Sie schauten unter Steinen, hinterm Regenbogen und auf den Bäumen.

Der Wahnsinn suchte in einem dornigen Gebüsch mit Hilfe eines Stöckchens. Und plötzlich gab es einen Schrei! Es war die Liebe. Der Wahnsinn hatte ihr aus Versehen das Auge rausgepiekst. Er bat um Vergebung, flehte um Verzeihung und bot der Liebe an, sie für immer zu begleiten und ihre Sehkraft zu werden. Die Liebe akzeptierte diese Entschuldigung natürlich.

Seitdem ist die Liebe blind und wird vom Wahnsinn begleitet.

Ich glaube, ich besauf mich und ziehe ein Frauenröckchen an.

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