Sauerteig und viel Geschrei beim Poetry-Slam

Selbstverständlich ist es ein ehrenvolles Bemühen, wenn die Kollegen in der Schule Theatergruppen gründen und ihren Schülern das ausdrucksvolle Vortragen beibringen. Aber wenn sich derart geschulte junge Menschen bemüßigt fühlen, mit eigenen Texten bei einem Poetry-Slam aufzutreten, dann wünschte man sich oft, ihre Lehrer hätten sie lieber zu Nützlichem angehalten, etwa den Garten umzugraben oder etwas Hübsches zu häkeln.

Schon oft habe ich beim Poetry-Slam dieses arge Missverhältnis zwischen famoser Vortragskunst und schwachbrüstigen Inhalten erlebt. Da wird mit Kanonen der Form auf die Spatzen des Inhalts geschossen. Es tritt auf der junge wilde Dichter und trägt mit Pathos vor, wofür das Deutsche das schöne Wort Gefühlsduselei bereithält. Sein Text hat ein literarisches Du. Das ist der nichtswürdige Ex-Partner, der sich nicht wehren kann. Und das Publikum kann sich auch nicht wehren, weil es unschicklich ist, eitle Dichter mit faulen Tomaten zu bewerfen, wenn sie grad im Selbstmitleid zerfließen.

Gestern sah ich einen, der warf jede abgelesene Seite seines Manuskriptes mit großer Geste auf die Bühnenbretter. Man sollte wohl denken, er könnte sich die hohe Dichtkunst der Weinerlichkeit so aus dem Ärmel schütteln, dass er es nicht nötig hätte, sie zu verwahren. Er hat das Saure im Überfluss und ist jederzeit bereit, es zu füttern, zu teilen und weiterzugeben wie diesen ewig wachsenden Hermann-Sauerteig, woraus man sich einen trockenen Kuchen backen kann. Tatsächlich kommt der Hermann beim jüngeren Publikum gut an, denn was gibt es in einem jungen Leben schon Weltbewegendes außer Familie, Fernsehen, Alkohol, Drogen, Liebe und Liebeskummer.

Manche junge Frauen thematisieren ein Vaterproblem, und wenn da Andeutungen von Gewalt oder Missbrauch hervorbrechen, ist man ganz hilflos und peinlich angerührt, weil man ja nichts anderes tun kann als zuhören. Wirklich hilfreich ist das nicht, weil der Schmerz immer wieder auf der Bühne aktualisiert wird und durch seine Stilisierung etwas Eigenständiges bekommt, das von Slam zu Slam mitreist wie ein gemästeter Hockauf.

Die über 30-jährigen Poetry-Slammer sind oft sehr laut und reden über Werbespots, TV-Serien, ihr Verlorensein in der Welt, jammern übers Älterwerden oder geißeln mit Stimmgewalt ihre eigene Generation. Es gibt keine Hoffnung, da werden keine Auswege aufgezeigt, sondern all die kunstvoll gedrechselte Scheiße ist resignativ: So sind wir halt und können nicht raus aus unserer Haut. Manche rufen aus, ich bin ein Dichter, ein Sprachgenie, ich bin der Größte, kommen aber mit einem mauskleinen Text daher, in dem sie Luftschlösser bauen mit sich als Schlossherr oder Burgfrollein.

Gar schrecklich sind Slammer, die ihre Unfähigkeit zu schreiben thematisieren. Schreibblockaden kennt jeder Autor. Die wollen ertragen werden, aber es hilft nicht und man hat auch kein Recht, das geneigte Publikum ins öde Meer der eigenen Unfähigkeit zu schubsen. Wer gerade nix zu sagen hat, der stelle sich damit nicht auf die Bühne. Das Gegenteil verkörpern die Slammer, die mit einem ausgefeilten Text daherkommen und behaupten, sie hätten ihn unterwegs im Zug geschrieben oder sogar erst kurz vor dem Auftritt. Da weiß man gleich, es handelt sich um Genies, die nicht viel vom Schreiben verstehen, denn Schreiben ist Arbeit und gelingt selten so nebenher.

Die nur Witzigen sind besser zu ertragen, vor allem, wenn sie anschauliche Geschichten erzählen und vielleicht noch ein bisschen tanzen und singen. Eher selten haben Poetry-Slammer politische Themen. Und noch seltener sind Könner darunter, die wirklich etwas mitzuteilen haben und deren Sprachwitz und Vortragskunst nicht Selbstwert, sondern dem Thema dienlich sind. Um solche Leute zu hören, gehe ich gelegentlich zu einem Poetry-Slam. Aber als gestern in Hannover so ein larmoyanter Schreihals den Dichterwettstreit gewann, da hat es, als ich entkommen war, draußen natürlich geregnet, dunkel war’s auch schon und mein Licht am Fahrrad ging nicht, na klar.

Gut hingegen ist auch etwas gewesen, dass nämlich der Erlös der Veranstaltung an ‚Die Tafel‘ gespendet wurde, der souverän moderierende punkige Slammer, den wortgewaltigen, witzigen Klaus Urban wieder einmal zu erleben und während seiner beiden Auftritte seinen winzigen Hund zu halten, der in einer Tasche steckte, aus der nur der kleine Kopf herausguckte. Und ich unterhielt mich in der Pause mit einer jungen Slammerin aus einem Dorf in Ostfriesland, die als einzige ein politisches Thema behandelt hatte. Die Leute aus Ostfriesland sind offenbar besser als ihr Ruf. Das liegt vielleicht am weiten Horizont, weshalb man nicht ständig den eigenen Nabel besingen muss.
Den hat nämlich jeder.

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35 Kommentare zu Sauerteig und viel Geschrei beim Poetry-Slam

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