Netzgeschichte – „Ein bisschen Denken vor dem Bloggen hat noch keinem geschadet“, empfiehlt die Denkbremse

Vor einigen Tagen bekam ich eine Mail von Readers Edition. Man bat mich in die Jury für den Artikel des Monats Juni, weil einer meiner Texte Artikel des Monats Mai gewesen war. Das hatte ich gar nicht mitbekommen, weil ich zur Zeit der Wahl schon mit dem Aufbau des neuen Teppichhauses beschäftigt war. Mein Artikel heißt „Nur die Journaille braucht einen Sprachpapst“. Darin wende ich mich gegen den Stilkritiker Wolf Schneider, der in so genannten Fachkreisen als „Sprachpapst“ gilt. Den Text habe ich geschrieben anlässlich der Verleihung des Henry-Nannen-Preises an Schneider. Jurymitglied Andreas Petzold (stern) lobt: „Wolf Schneider prägte mit seiner Arbeit eine ganze Journalisten-Generation. Viele seiner Schüler gehören heute zu den führenden Köpfen unserer Medienlandschaft.“ Schneider unterhält auch ein Videoblog bei der Süddeutschen Zeitung und hat sich darin über das Bloggen ausgelassen. Sein Resümee lautet. „Ein bisschen Denken vor dem Bloggen hat noch keinem geschadet.“

Als Negativbeispiel dient ihm Felix Schwenzels bekanntes Blog Wirres Net. Es ist ziemlich perfide, wenn Schneider sich negativ über ein Blog auslässt, das schon programmatisch „Wirres Net“ heißt, um daran konservative Stilkritik zu üben. Wer Muckefuck bestellt, kann doch ernsthaft nicht bemängeln, dass er nicht wie Espresso schmeckt.

Viele Blogs dagegen sind wie Espresso, hauen stark rein in den Leser, und zwar so, wie man es im Muckefuck der Printmedien nicht findet. Die Printmedien präsentieren überwiegend Promigedöns von Politik über Kultur bis Sport. In den Blogs aber zeigen sich Menschen, berichten über sich und ihren Alltag, so dass man einen zuverlässigeren Eindruck von der gesellschaftlichen Realität gewinnen kann. In Blogs gibt es Feingeister, die ihre Lust im wechselseitigen Austausch von launigen Sentenzen gefunden haben, es gibt die radikalen Denker, die manchmal richtig auf den Putz hauen, die geistigen, künstlerischen Anreger und und und. Es ist eine ganze wilde Blumenwiese, und natürlich gibt es auch unscheinbare Pflänzchen und Disteln. Wer aber meckernd über diese Wiese rennt und mit dem Rohstock fuchtelt, kann nur einer aus dem Printmedium sein. Diese Leute sitzen geistig noch immer hinter der Linotype-Setzmaschine und grollen, weil ihnen die Kontrolle über die Köpfe entgleitet.

Leute wie Wolf Schneider sind falsche Propheten. Vertreter eines gesellschaftlichen Systems der ungehemmten Gier, das regiert wird von Politikern, die Probleme schaffen und uns an den Hals hängen. Was hat denn die wunderbare Sprache der Zeitungsjournalisten uns inhaltlich gebracht hat seit Beginn der Bundesrepublik? Haben die Printmedien einen Bildungsauftrag erfüllt oder haben sie die Leute verblödet? Wenn es um Stilfragen geht, sind beispielsweise die alljährlich wiederkehrenden Medienkampagnen über EHEC, Schweinegrippe, Rinderwahn, Vogelgrippe und wie der Dreck heißen mag, ganz und gar schlechter Stil. Es ist sprachlich frisierter und ondulierter Scheißdreck, der sich reinschleimt in die Gehirne der Menschen. Bei allem Respekt vor aufrichtigen und in jeder Hinsicht hervorragenden Journalisten, betrachtet man die Wirkung des Printmediums insgesamt, dann werden doch beständig die Hirne zugeschissen.

Aber das ist
die logische Folge der uns von den Alliierten verordneten Fehlkonstruktion, Zeitungen privatwirtschaftlich statt genossenschaftlich zu organisieren, weshalb sie stets folgsam das hohe Lied der freien Marktwirtschaft gesungen haben, zumindest im Wirtschaftsteil. Selbst in der Finanzkrise gab es nur einen Augenblick der Besinnung, in dem von einer Systemkrise die Rede war.

Dann kamen die Gegenstimmen zurück. Die Abwiegler und professoralen Mietmäuler verkündeten, wir alle wären ja durchdrungen von Gier
und somit schuldig. Es spielt keine Rolle, dass es sich dabei um einen logischen Fehlschluss handelt, denn wenn ein System menschliches Versagen nicht ausgleichen kann, dann ist es erkennbar ungeeignet und richtet so lange Schaden an, bis der Karren an die Wand gefahren ist. Und selbst im Untergang werden die Schmocks in den Redaktionen der Dreckspress noch treffende Worte finden. Speak Schneider.

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