Die denkwürdigen Abenteuer des Wolfgang Herles (2)

UPDATE 3.7
Vor einigen Tagen habe ich das Mitmachprojekt „Reizwortgeschichten“ im Teppichhaus gestartet. Inzwischen hat sich daraus ein Krimiprojekt entwickelt, angestoßen durch eine Geschichte der reizenden Eugene Faust. Wir schreiben derzeit zu siebt daran, Eugene Faust, die Hausmeisterin, Shhhhh, Graphodino, la-Mamma, videbitis und ich. Arbeitstitel: Blutorgie. Weitere Autoren sind herzlich eingeladen, mögen aber bitte die bisherige Entwicklung der Handlung berücksichtigen sowie das Tempus beachten. Eugene Faust hatte im Präsens begonnen, Präteritum ist demnach zeitliche Rückblende.

Die Reizworte möchte ich ergänzen um fünf neue Suchphrasen der
Teppichhaus-Registratur:

– John Cleese
– Handysprache
– ca va bedeutung?
– Ethnologie
– Tätowierung

Ersatzweise dürfen bis zu sechs der bisherigen Reizworte weggelassen werden:

– Vögel
– was ist ein Zeitungsmantel?
– wie der Ochse pflügt
– was bedeutet blutorgie
– wolfgang herles
– gdanken des alltags
– bahncard erfahrungen
– es plapperle puppe
– trithemius.de
– kurrentschrift leibniz

(Hinweis für potentielle Co-Autoren – die redaktionelle Diskussion findet in den Kommentaren hier und bei Eugene Faust statt.)

Hier die ersten 17 Folgen des Krimis. Wie soll es weitergehen?
Fabulieren Sie mit.

B L U T O R G I E

Eugene Faust
Trithemius de Leibniz wird aus seinen Alltagsgedanken gerissen. Ein Mord im 80km entfernten Kurrent! Er steckt seine Bahncard ein, denn das Innenministerium hat Sparmaßnahmen beschlossen.

Die Spurensicherung ist bereits am Tatort. Eine zerfetzte Gummipuppe neben dem ebenso zugerichteten Mordopfer, alle Wände über und über mit Blut verschmiert, geheimnisvolle Schriftzeichen. Nach nun schon 3 Jahrzehnten mit zahlreichen abstumpfenden Erfahrungen im Morddezernat, ist selbst der Kommissar fassungslos. Was bedeutet diese Blutorgie?

Nichtsahnend betritt die Putzfrau von Wolfgang Herles das Haus. Kaum im Raum macht’s Plap, und die Perle fällt um.

die Hausmeisterin
Als er die Kneipe auf unsicheren Beinen verließ, hatte er die vage Vermutung, dass er volltrunken war. Denn diese plappernde Puppe, die sich bei ihm eingehakt hatte und unentwegt über ihre banalen Alltagserfahrungen schwadronierte, war ihm gänzlich unbekannt.
Während sie ihn mit harter Hand durch die Straße dirigierte und er in ihrem Wortmeer gegen sein Entsetzen ebenso wie gegen das Ertrinken kämpfte, überkam ihn eine große Übelkeit. Seine Synapsen schienen falsch verkabelt, denn die immer größer werdenden Satzwellen, die an sein Ohr schwappten und Begriffe wie “Kurrentschrift” “Leibniz oder “Bahncard Erfahrungen” enthielten, ergaben für ihn nicht den geringsten Sinn.
“Was bedeutet Blutorgie?”, fragte er sich noch, bevor er sich an einer Straßenlaterne übergeben mußte und eine gnädige Ohnmacht ihn umfing.
Bei seinem Erwachen im Rinnstein sangen bereits die Vögel.
Das offenkundige Verschwinden der fremden Frau erfüllte ihn mit Erleichterung. Hatte ihr Wortmeer ihn auch kurzfristig verschlungen, so doch in der Morgendämmerung an Land gespült.
Wolfgang Herles säuberte notdürftig seine Kleidung. Und als seine Gedanken des Alltags zu ihm zurückkehrten wie flüchtige Geister, trat er etwas blass seinen Heimweg an.
Er nahm sich vor, seinen Filmriss auf Trithemius.de zu recherchieren.

Jules van der Ley
„Bringt mal einer die Perle aus dem Blut?“, raunzt de Leibniz zwei junge Polizisten an. Wo hat er nur wieder sein Notizbuch? Linke Manteltasche: Bahncard, in der rechten wir er fündig, kramt es umständlich hervor und beginnt, die wirren Graffiti abzuzeichnen. „Kurrentschrift ist nichts dagegen“, murmelt er.
Da tritt ein Mann durch die offene Haustür, der sieht ziemlich fertig aus. „Was wollen Sie denn hier?“, fragt de Leibniz unwirsch. „Na, erlauben Sie mal, mein Name ist Herles, und hier ist mein Domizil.“ Herles sieht sich um und verbessert sich: „Das war mein Domizil. Wer um Himmels Willen hat die Sauerei hier veranstaltet?“
„Wollte ich Sie gerade fragen“, sagt Leibniz. „Wo waren Sie letzte Nacht, Herles?“
„Da-das, weiß ich nicht mehr.“ Sein Blick fällt auf die verschmierte Tapete. „Was bedeutet das alles hier? Ich muss gleich brechen.“
Die Putzfrau ist wieder auf den Beinen und sagt: „Sie haben sich doch schon bekotzt. Haben Sie letzte Nacht mal wieder die Puppen tanzen lassen?“ Sie blickt zu den beiden Polizisten auf und plappert aus dem Nähkästchen: „Ich habe so meine Erfahrungen. Orgien sind bei dem Alltag. Der Mann ist vollkommen von seinem Wolfgang regiert.“
Herles starrt sie an und sagt: „Müssen Sie mir meine Freundlichkeit so hinterfotzig danken?“
Plötzlich ein Ruf von der oberen Etage: „Trithemius, kommen Sie mal hoch!“

die Hausmeisterin
Trithemius de Leibniz steht an der weit geöffneten Schlafzimmertür im oberen Stockwerk und betrachtet ungläubig das Schlachtfeld, das sich seinen Augen bietet. “Was bedeutet Blutorgie im Vergleich zu diesem Inferno?”, flüstert einer der beiden jungen Polizisten und flieht würgend die Treppe hinunter.
“Anfänger!” knurrt de Leibniz. “Soll ich Dir eine Bahncard schenken?”, ruft er dem fliehenden Polizisten verächtlich hinterher.
Doch auch ihn selbst haben seine langjährigen Erfahrungen nicht immun gemacht gegen den Anblick eines Tatortes wie diesen. Seine Hände zittern, als er seine Beobachtungen in Kurrentschrift seinem Notizblock anvertraut.
Angestrengt versucht de Leibniz sich auf mögliche Indizien und den Tathergang zu konzentrieren, aber Gedanken des Alltags mischen sich sich ungefragt in seine Arbeit ein.
“Herrgottnochmal!” schreit Trithemius von oben dem verbliebenen Polizisten im unteren Stockwerk zu. “Kann ich hier vielleicht mal in Ruhe meiner Arbeit nachgehen? Bringen Sie diese plappernde Puppe, diese Perle zum Schweigen! Notfalls auch mit Gewalt, verdammt! Und schicken Sie mir Wolfgang Herles hier herauf! Sofort!”

Shhhhh
Wolfgang Herles, längst nicht mehr Herr seines Mageninhalts, betritt in Erwartung einer weiteren Blutorgie das Schlafzimmer. Die Verwüstung seiner lange gesammelten Notizen nimmt ihn fast noch schwerer mit als das Blutbad im Erdgeschoss. Nicht nur seine doppelseitig beschriebenen Karteikarten liegen kreuz und quer im Raum verteilt, auch das aus allen Zeitungen der Republik stammende Material liegt oder klebt in unmöglichsten Positionen an Decke, Fußboden, Wänden – sogar auf seinen Möbeln. Sein Herrendiener, über dem normalerweise sein graues Jackett hängt, ist über und über mit Zeitungsfetzen beklebt.
Was ist ein Zeitungsmantel“, fragt sich Trithemius de Leibniz und wechselt mit seinen Blicken immer wieder zwischen Herles und dem Herrendiener, über den sich die Notizen wie ein Kleidungsstück gelegt haben. Er hebt einen Zeitungsausschnitt vom Boden auf, „aha, es geht hier um Vögel“. Als nächstes greift er nach einer Karteikarte. Dass Herles seine Notizen ebenfalls in Kurrentschrift verfasst, macht ihn irgendwie sympathisch, auch wenn er des dünnen Alibis wegen und seiner höchst zweifelhaften Gestalt als Hauptverdächtiger gelten muss.
Herles hat keine Ahnung, was das bedeutet. Seine gesammelten ornithologischen Aufzeichnungen, ja sogar sein Buchmanuskript mit dem Arbeitstitel „Wie der Ochse pflügt“ füllen das Zettelchaos. Der Kommissar betrachtet ihn von oben bis unten. Der Anblick musst furchtbar sein. Das vormals graue Jackett, von Resten des Abendessens verklebt, das er noch mit der plappernden Puppe in seinem Stammlokal eingenommen hatte. Dazu kommen der zerknitterte Hut, der lose um den Hals gelegte Schlips, die fehlende Knöpfe an seinem Hemd, das Blut an seiner Hose, die offenen Schnürsenkel. „Moment, da ist Blut an meiner Hose?“, denkt Herles und versucht unauffällig das beschmutzte Hosenbein mit einem großen Zeitungartikel zu verdecken.

Eugene Faust
„So, Herr Herles. Beginnen wir also damit, das Unterste zuoberst zu kehren – wie der Ochse pflügt, sozusagen. Ihr Vorname ist Wolfgang und Sie sind hier wohnhaft, sagen Sie?“
„Korrekt, Herr…, können Sie sich eigentlich ausweisen?“
Trithemius de Leibniz.“ Der Kommissar hält ihm geistesabwesend seine Bahncard vors Gesicht und fährt fort. „Sie sehen nämlich aus, als wäre eher ein Zeitungsmantel ihre Unterkunft.“
Was ist das denn?“
„Wenn man seine Alltagserfahrungen ohne festen Wohnsitz mit Vögeln als direkte Nachbarn macht, braucht man so etwas. Apropos Vögel. Ihre Putzfrau hat ja schon wie ein Vöglein gezwitschert, dass Sie, man könnte sagen, ähm, dass Sie eher freizügig leben. Ist, vielmehr war, das Ihre Gummipuppe?“
Kommissar de Leibniz wird von einem Polizisten unterbrochen, der ihm ein Handy hinhält. „Der G. aus der Gerichtsmedizin“, flüstert er. De Leibniz dreht sich weg. „Hallo Danken, du hast wohl eine Sonderschicht eingelegt!“ „Ja, kommt von ganz oben. Also, im Fall ‚Blutorgie’ habe ich Spuren von ES gefunden und zwar nur in den Spritzern auf dem Treppengeländer. Bei ES, genauer Esotroph-Scopolamin, handelt es sich um eine psychotrope Substanz, die aus der Rinde der Plapp-Erle gewonnen wird.“

Jules van der Ley
„Hören Sie, Kommissar Bahncard„, sagt Herles, den plötzlich eine unpassende Lustigkeit überkommt. „Ein Zeitungsmantel ist beileibe nicht die Zudecke eines nächtlichen Zechers, sondern der äußere Teil einer Zeitung. Welch eine Unbildung bei den Polizeikräften.“
„Hauptkommissar“, knurrt de Leibniz. „Ich bin Hauptkommissar und heiße Trithemius de Leibniz.“
Was ist denn das für ein ulkiger Name? Ein Künstlername, ein Pseudonym? So heißt man doch nicht. De Leibniz wäre ja nur möglich, wenn es einen Ort mit dem Namen Leibniz gäbe, wohingegen Trithemius die latinisierte Form von Trittenheim ist. Sie heißen also vorn wie ein Ort und hinten wie eine Person. Genau falsch herum, hehe!“
„Sie als Hauptverdächtiger sollten nicht klugscheißern, und als Journalist sollten Sie wissen, dass man keine Namenwitze macht“, sagt de Leibniz abwesend, denn er versucht sich klar zu machen, was der Befund der Gerichtsmedizin bedeutet. ES von der Plapp-Erle, eine seltene Substanz, die ursprüngliche für die Mast von Ochsen gedacht war, jetzt aber gerade in Mode kam, als Ersatz für Kokain.
„Sagen Sie, Herles, nehmen Sie Drogen? Langweilen Sie mich nicht mit Lügen. Wir können Haarproben von Ihnen nehmen, büschelweise, oder Ihnen einen Liter Blut abzapfen, um das festzustellen.“
„Blut? Sie wollen Blut?! Haben wir hier noch nicht genug Blut?!“, schreit Herles aufgebracht und gibt der zerfetzten Gummipuppe einen Tritt.
„Bringen Sie nichts durcheinander!“, schnauzt de Leibniz. „Sie können von mir aus ihren Wolfgang in Gummipuppen stecken, sie im ES-Rausch durchvögeln, bis sie platzen, aber das hier ist der Tatort einer anderen Orgie.“
„Ach“, sagt Herles, „Sie Spießer. Hier ist alles Kraut und Rüben, wie kann ich da noch etwas durcheinander bringen, wo meine gesamten Aufzeichnungen umgepflügt sind.“

die Hausmeisterin
“So kommen wir nicht weiter!”, knurrte Trithemius de Leibniz und greift unsanft nach Wolfgang Herles Arm.
“Weder mit Ihrer Hysterie noch mit Ihrem infantilen Leugnen ist hier irgendwem gedient! Sie werden mich jetzt zum Verhör auf das Revier begleiten. Woll`n wir doch mal schauen, ob Sie dann noch leugnen!”
Er zerrt den Hauptverdächtigen aus dem Schlafzimmer, doch Herles windet sich in seinem überaus festen Griff. “V-v-ögel singen!”, stammelt er. “Aber ich habe nichts zu gestehen! Weil ich nichts getan habe, was auch nur im Entferntesten eine Blutorgie gewesen wäre, sein könnte oder ist! Lassen Sie endlich meinen Arm los, Sie sind brutal wie…wie…
Wie ein Ochse, der pflügt!”, ergänzt der Hauptkommissar sarkastisch den Satz seines Hauptverdächtigen. “Und obendrein genauso gründlich!”, merkt de Leibniz noch an.
“Von mir aus können Sie von unterwegs gern Ihren Anwalt anrufen. Oder eine ihrer plappernden Puppen. Oder wer auch immer sonst für Ihr Alibi zur Verfügung steht. Doch die perverse Sauerei in Ihrem Schlafzimmer werde ich aufklären, koste es, was es wolle. Und deshalb kommen Sie jetzt sofort mit!”
Wolfgang Herles versucht zunächst noch, sich am Treppengeländer festzuklammern. Sieht dann aber ein, dass er gegen den Hauptkommissar ebenso wenig Chancen hat, wie ein Zeitungsmantel gegen den Regen.
Mit hängendem Kopf und deutlich weniger Widerstand lässt er sich zum Polizeiauto führen.
“Ob sie mir das ES im Blut wirklich nachweisen können?” ist sein letzter Gedanke des Alltags, bevor die Beamten ihn nötigen, in die blaue Minna einzusteigen. Unauffällig sieht Herles in seinen Hosentaschen nach, ob er seine Bahncard dabei hat. Falls es ihm gelingen sollte, zu flüchten.
Erfahrungen wie diese hat Wolfgang Herles in seinem ganzen bisherigen Leben noch nie gemacht.

Jules van der Ley
Trithemius de Leibniz schaut dem Polizeiauto nach, dann wendet er sich um. Der leitende Beamte der Spurensicherung kommt aus dem Haus und streift sich das weiße Ganzkörperkondom ab. „Rungen!“, zischt de Leibniz, „kann ich mal erfahren, wo die verfluchte Leiche ist?!“
Rungen zieht erstaunt die Brauen hoch. „Die haben doch die Kerle vom BKA abgeholt.“
„Wie, was bedeutet abgeholt?!“
„Sie kamen her und sagten, sie wären die Cleaner und müssten die Puppe abholen.“
„Was plapperst du da? Hast du dir die Ausweise von den Vögeln zeigen lassen?“
„Natürlich nicht. Sie waren doch vom BKA. Die zeigen dir noch nicht mal die Bahncard.“
„Du bist mal wieder ein Ochse, Rungen! Und wo ist die Leiche jetzt?“
„Das weiß ich doch nicht. Aber ich habe Fotos gemacht.“
„Mit der Kamera? Zeig mal her!“
Hauptkommissar de Leibniz schaltet die Digitalkamera ein. Auf dem Display erscheint eine Nachricht. „Verdammt, wo habe ich meine Lesebrille!?“ De Leibniz durchpflügt ungeduldig seinen Mantel, fördert die Lesebrille endlich zu Tage und setzt sie auf. Da steht: „Speicherkarte fehlt.“
„Du weißt, was die Zeitungsschmierer morgen schreiben werden, Rungen? Wie ein Wolfsrudel werden sie über mich herfallen. Das geht alles seinen Gang. ‚Dümmer als die Polizei erlaubt!‘ werden sie schreiben und ‚Mordkommission lässt sich Leiche stehlen.’ Und der Herles ist aus dem Schneider. Keine Leich, keine Anklage.“
Rungen hört gar nicht zu, sondern murmelt: „Ich glaub‘ es nicht. Wo ist denn die Speicherkarte hin? Eben war sie doch noch drin? Die kann doch nicht so einfach weg sein? So ein Mist, die war noch ganz neu. 32 Gigabyte zum Teufel.“

Graphodino
Es ist wieder einmal wieder so weit: Rungen, der genug Erfahrungen hat, um zu wissen, was Blutorgie bedeutet, und viel lieber und immer öfter über ein von Vögelfüttern erfülltes Rentnerdasein nachdenkt, da er längst aufgegeben hat, an den Erfolg einer Kur zu glauben, die bequem mit der Bahncard zu erreichen wäre (und geprägt von diesen plappernden Puppen, die nicht nur Zeitungsmeldungen verschlangen, wie der Ochse pflügt, um sich in Handysprache gegenseitig über die hippen locations der Klinikszene auf dem Laufenden zu halten, sondern dazu neuerdings auch nicht völlig unseriöse Medien wie trithemius.de frequentierten), Rungen macht das, was er beim Erstkontakt mit solchen nachher in Wort und Schrift des Langen und Breiten und wenig Tiefen zu erörternden Typen wie Wolfgang Herles immer tut, nämlich mit einem Grienen, von dem allerdings nur er glaubt, dass es an John Cleese erinnern würde, sich einen zu genehmigen – und zwar einen aus seinem Mantel gezauberten Leibniz-Keks…

la-mamma
Va ca? Bedeutung: Geht´s noch?“ Der des Französischen nicht einmal in Handysprache mächtige de Leibniz wird ein ein wenig lauter: „Muss ich jetzt auch noch ausgerechnet dich freundlicherweise erinnern, dass wir uns auch hier draußen an einem Tatort befinden, John Cleese, ich meine Rungen?! Dein Leibnizkeks bröselt!!! Und bevor du uns hier noch länger über den Verlust deiner Speicherkarte was vorjammerst, fass‘ lieber ein paar Gedanken zusammen, das wird ja sogar in deiner Alltagskurrentschrift möglich sein! Vielleicht hättest du doch lieber dein Ethnologiestudium vollenden sollen, statt dich hier wie der Ochse anzustellen, der pflügt !“
Rungen, der durchaus schon auf langjahrige Erfahrungen mit dem Hauptkommissar zurückblicken kann, der bisweilen sogar andere Bahncardreisende mit launigen Erzählungen über die seltsamsten Vögel unter den Hütern des Gesetzes erfreut hat, wird rot bis unter seine geheimsten Tätowierungen.

Shhhhh
Stotternd und mit leiser Stimme fasst Rungen die Gedanken des Tages zusammen. Sein John-Cleese– Lächeln ist ihm vergangen, als Kommissar de Leibniz ihn überfährt wie der pflügende Ochse.
„Und, was haben wir dabei vergessen, Rungen?“, hakt de Leibniz noch einmal nach.
„Meintest du vielleicht das ES aus der Plapp-Erle?“
„Nein, ich meinte eigentlich eher, wie wir beide jetzt ins Präsidium kommen. Meine Bahncard bringt uns da nämlich nicht hin, na los, raus mit der Sprache.“
„Warte mal, mein Handy klingelt, das sind vielleicht die Vögel von der Presse, was soll ich denen denn erzählen?“
„Sag dem Zeitungsfritzen, er soll mit seinem Auto herkommen, und einen Mantel für mich mitbringen, er bekommt auf der Fahrt ins Präsidium die Exclusivrechte der Story.“
„Das kannst du doch nicht machen.“
„Ich werfe ihm nur ein paar Bröckchen hin, vom Ausmaß der Blutorgie und was die beidseitig in Kurrentschrift abgefassten Notizen auf den Karteikarten bedeuten, muss er ja nicht erfahren, und das Wolfgang Herles darin verwickelt ist, wissen sowieso schon alle.“
„Na gut, auch wieder wahr“, sagt Rungen und übermittelt die Wünsche des Kommissars.
Wenige Minuten später sind alle drei im trockenen, geheizten Auto des Redakteurs unterwegs in Richtung Präsidium.

Videbitis
“Mann, was sind die Bullen doch für Ochsen”, denkt Johnny Kurrent, als er mit dem Transporter losfährt. Rungen kann man sogar mit einem Foto von John Cleese foppen, und Danken würde wahrscheinlich selbst auf eine Bahncard hereinfallen. Immerhin hatten sie ihm die tote Puppe selbst in den Wagen gelegt, die komischen Vögel. Als Dank hatte er ihnen angeboten, ein Foto von ihnen zu machen – BKA, dein Freund und Helfer, hehe – und bei der Gelegenheit die Speicherkarte herausgenommen. Trithemius de Leibniz wird schön fluchen. Hoffentlich erzählen sie ihm nichts von seiner Tätowierung am Handgelenk, denn dann weiß er sofort, wo er die Leiche suchen muß. Gottseidank haben die Bullen keine Ahnung, wer sie ist. Als dieser Möchtegernforscher in Unterwelt-Ethnologie Wolfgang Herles letzte Nacht im Plapperle Pub auftauchte, war es wie ein Geschenk des Himmel: Schnell packten sie die Puppe in einen Zeitungsmantel und brachten sie in seine Wohnung, während Herles mit seinem Wolfgang Studien betrieb. Was für eine Sauerei, sie blutete wie blöd, die reine Blutorgie! Aber sein Chef wollte es so. Apropos: Kurrent fällt ein, daß er seinem Chef schreiben muß … also jetzt nicht schreiben, Kurrents Schrift ist legendär unleserlich, Handysprache, SMS ist inzwischen Alltag. Kurrent will gerade lostippen, da klingelt es. “Ca va?” fragt eine dunkle Stimme. Was soll das jetzt wieder bedeuten?

Jules van der Ley
Als sie den Stadtrand von Hannover erreichen, eigentlich, wie sie über den Mittellandkanal fahren, fasst sich Hauptkommissar Trithemius de Leibniz an den Kopf. Wo bin ich, was mache ich hier, wer ist der Mann am Steuer? Donnerwetter, das Zeug aus Wolfgang Herles Schlafzimmer haut was weg! „Esotroph-Scopolamin, eine psychotrope Substanz, die aus der Rinde der Plapp-Erle gewonnen wird“, hatte Gerichtsmediziner Danken erklärt. Dieses Zeug musste er unbedingt bald wieder durch die Nase ziehen. Herrlich. De Leibniz seufzt.
„Was ist jetzt mit der Exklusiv-Story, de Leibniz?!“, fragt der Redakteur über seine Schulter hinweg. „Sie verlangen einen Mantel, wollen zum Präsidium kutschiert werden, wo ist die Gegenleistung? Die ganze Zeit sitzen sie nur hinter mir, grinsen sich eins und schweigen. Wie soll ich daraus eine Story machen?“
„Ich soll einen Mantel gefordert haben? Sind Sie noch recht bei Trost?! Sie Würstchen von Redakteur einer Dreckszeitung, sehen Sie nicht, dass ich bereits einen Mantel trage? Und Grinsen – das Wort kenne ich nicht einmal, so wenig wie Handysprache. Ich habe Jahr und Tag nicht gegrinst, Sie Ochse, der Sie sogar am Steuer sitzend in der Nase pflügen!“
„Doch, er hat recht“, sagt Rungen vom Beifahrersitz rüber. „Du hast gegrinst, und du hast einen zweiten Mantel von der Zeitung verlangt, und die Exklusivstory über die Blutorgie in Wolfgang Herles Domizil hast du ihm auch versprochen.“
„Plapperlepupp!“, sagt Hauptkommissar Trithemius de Leibniz. Ihr habt doch einen an der Waffel. Ach, da ist ja auch schon das Präsidium. Kommen Sie mit, Mister John Cleese, der Sie Tätowierungen an den geheimsten Stellen haben, wie das Gerücht besagt.“

Eugene Faust
Ca va, Jonny? Isch vermiss disch, mon cher“, gurrt es wieder rauchig an sein Ohr. „Bringst du mir von die Drog mit, die so schön hat geprickelt in mein Bauch?“
„Was soll der Scheiß, red’ mal wieder normal, Puppe!“
„Du unromantischer Ochse, du! Willst du nicht, dass ich heiß werde wie Wanda, wenn John Cleese sie mit seinem Kauderwelsch in den Wahnsinn treibt?“
„Spinnst du? Frag doch deinen Ethnologen! Der kann das bestimmt besser und zahlt obendrein.“
Bedeutet das, dass ich dir nichts mehr bedeute, Kurrent? Deine Handysprache war aber leidenschaftlicher. Und mein Name und meine Silhouette auf deiner Brust …“
„Quatsch! Als sich Vögele mit seiner Tätowiernadel durch mein Brusthaar gepflügt hat, da hatte ich einfach Langeweile. Der Schwabe hat übrigens eine tolle Schrift. Ach, was plappere ich, Puppe. Ich habe keine Zeit für solche Alltagsgedanken. Sag’ mir lieber, wo Wolfgang Herles sein ES her hat.“

Shhhhh
Osche,jetzt behalten Sie Ihre Gedanken des Alltags doch mal für sich. Das Geplapper ist ja schlimmer als von jeder Puppe“, Trithemius de Leibniz wird langsam ungehalten. Zuerst fährt dieser Zeitungsfritze kreuz und quer durch die Stadt nur nicht zum genannten Ziel und jetzt fängt er auch noch an über die katastrophalen Zustände in seinem Blatt zu jammern und wie lange er doch schon keine „echte“ Story mehr gehabt hätte.
„Also gut, dann eben keine Story. Dann berechne ich Ihnen jetzt den Taxipreis!“, Osche guckt triumphierend in den Rückspiegel. „Ich hab ´ne Bahncard, du Pfosten“, nuschelt de Leibniz zurück.
„15 Euro berechne ich Ihnen, Euch beiden, Sie auch Rungen.“
„Dafür will ich aber eine Quittung haben, Osche, nicht dass Sie mir nachher Bestechlichkeit vorwerfen wollen, Sie wissen ja, mehr als 12 Euro Wert darf ein Geschenk an Beamte nicht haben. Ich habe da schon so einige Erfahrungen gemacht mit euch Vögeln“, der Kommissar durchpflügt seine Geldbörse und zählt 7,50 Euro ab.“
„Hier die Quittung, in Kurrentschrift, in doppelter Ausführung, und den Mantel können Sie behalten, als Geschenk sozusagen.“
„Na gut, der ist ja auch keine 12 Euro wert, da kann man mir ja keine Bestechlichkeit vorwerfen“ de Leibniz ist im Begriff auszusteigen. Er schaut zu Rungen rüber, der irgendwie geistesabwesend wirkt: Sie auch, Rungen“ , äfft de Leibniz nach, „und nimm mir mal den Mantel ab. Der ist ja tonnenschwer“
Rungen bezahlt, nimmt den Mantel entgegen und steigt völlig perplex aus dem Auto – ebenso der Kommissar. Woher weiß der nur von der Tätowierung, denkt Rungen die ganze Zeit.
Osche, sichtlich zufrieden den Bullen eins ausgewischt zu haben, rast in seinem Turboigel zurück zum Tatort, um sich die Reste einer Story über Wolfgang Herles zu sichern. Sein John Cleese Grinsen stößt dabei links und rechts durch die geöffneten Seitenfenster.

la-mamma
Irgendwas von Bedeutung haben wir tatsächlich übersehen, denkt Trithemius de Leibniz, davon abgesehen, dass die ganze Blutorgie nicht zu Wolfgang Herles passt. Wer will dem was anhängen?, sinniert er weiter, ist der womöglich bei seinen Vögelbeobachtungen wem in die Quere gekommen? Welche Bedeutung hat die Gummipuppe? Und was sollte eigentlich das Geplapperle von wegen BKA? Ob John Cleese vulgo Rungen irgendwas von Bedeutung in seinen Bericht schreibt?

Vielleicht einmal das Wichtigste klären? Wer ist das Opfer? Die Vermissstenmeldungen der letzten Tage durchackern? So wie das Opfer aussah, bräuchte er fast einen Ethnologen! Was bedeuteten die Tätowierungen, die er aufgrung ihrer Alltäglichkeit zunächst gar nicht besonders beachtet hatte? Ist „cava“ am Oberarm üblich? Französisch? War da überhaupt ein Abstand dazwischen? Sollte das Handysprache? sein. Oder Latein?

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67 Kommentare zu Die denkwürdigen Abenteuer des Wolfgang Herles (2)

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