Horchen Sie nicht an der Dose! – Verwirrendes über die Seele

„Den kann ich nicht leiden“, sagte S., „ich weiß auch nicht warum.“ Ich hatte die Gestalt auf dem Bürgersteig gar nicht beachtet, als wir mit den Fahrrädern vorbeifuhren. „Wen meinst du?“
„Na, den J.S., der ging doch da.“

„Vermutlich ist es etwas Chemisches“, sagte ich später in der Kneipe. „Also, ich hatte den gar nicht gerochen.“ Wir kamen in einen kleinen Disput, angeregt durch die Leibnizsche Monadologie, weil ich gesagt hatte, dass Information immer ein Medium benötige, damit sie überhaupt fließen könne, weshalb ich eine vom Körper unabhängige Seele mir nicht vorstellen könne. Bei der angeblichen Seelenwanderung beispielsweise. Wo speichert die Seele die Informationen, bevor sie in einen neuen Körper flutscht, so dass der Mensch mit dieser alte Seele unter Hypnose die seltene Sprache Nchumbulu sprechen kann. Sie rinnt wie Wasser aus seinem Mund, weil die Seele einem alten Schamanen in Ghana gehört hat, der einst in einem Dorf westlich des Volta-Stausees lebte.

Oder ist die Seele selbst ein Medium, wie ein Draht von einem zum anderen. Wäre die Seele ein Medium wie ein Draht durch Zeit und Raum, dann wären alle Lebewesen vernetzt, vor allem jene, die einander ähnlich sind, also die Botschaften verstehen, weil sie einen gemeinsamen Erfahrungsbereich haben. Eine beseelte Nähmaschine beispielsweise könnte sich vernetzen mit mir, bis sie schwarz wird, ich verstehe trotzdem nichts von Kreuzstichen oder ähnlichem Firlefanz. Eine Nähmaschine hat vielleicht Drähte, aber verfügt sie auch über den speziellen Seelendraht? Wenn ich die Monadologie richtig verstehe, müsste auch die Nähmaschine einen haben, unterhält sich aber nur mit anderen Nähmaschinen, vielleicht noch mit dem Garnröllchen und der Stoffbahn. Wenn man aber sieht, wie geschickt manche Finger eine Stoffbahn unter der Nähnadel führen, dann könnte man vermuten, dass zumindest zu den kundigen Fingern eine Verbindung besteht.

In meinem Heimatdorf gibt es einen überwucherten Hohlweg. An manchen Stellen leuchtet in den Hängen gelb der Mergel auf, wo Dachse und Kaninchen gegraben haben. Schon Kinder-Generationen vor mir hatten an freien Stellen im Mergel gebuddelt, hatten rechteckige Höhlen ausgeschachtet. Mancher dieser Höhlen waren wieder von der Natur versteckt worden, so dass wir immer wieder auf alte Höhlen stießen, wenn wir unter die Brombeerranken und Schlingpflanzen krochen. Es gab also mehr Behausungen als Bewohner, so dass Fernkommunikation zwischen den Höhlen nötig wurde. Ich las in einem Buch vom geheimnisvollen Wandern des Schalls entlang einer mit Wachs umhüllten Kordel und zwei Dosen an den Enden. Da nahm ich ein langes Stück Drachenschnur, zog sie getreu der Anleitung durch eine Kerze, schob die Enden durch ein Loch im Dosenboden und verknotete sie, womit ich glaubte, ein potentielles Netzwerk geknüpft zu haben.

Wir saßen im Hohlweg in entfernten Höhlen und sprachen in Dosen. Ab und zu horchten wir auch daran. Nur der Schall wollte sich nicht an der Schnur entlang in die Dosen hangeln, sondern ist einfach entfleucht. Das machte nichts, denn wir glaubten an unser technisches Kommunikationsgerät, sprachen aber in Wahrheit so laut in die Dosen, dass wir uns auch so hören konnten.

Manche Menschen hört man ohne Dosen, auch wenn sie gar nichts äußern. Zwei Menschen, ein Gedanke, das gibt es, auch über weite Strecken hinweg. Heute stand ein alter Hippie mit langen grauen Haaren im Supermarkt an der Kasse und kaufte eine Grünpflanze. Ein Bekannter fragte ihn, was er mit der Pflanze wolle, und der alte Hippie sagte: „Ich habe doch schon seit 58 Jahren einen Grünen Daumen. Sein Daumen und die Pflanzen tauschen also Informationen aus. Einen grünen Daumen habe ich leider nicht, aber ich rede schon seit Jahren mit meiner Zimmerpalme. Sie heißt Josie. Inzwischen muss ich mir eingestehen, unser Dosentelefon funktioniert nicht richtig, denn ich gieße sie oft zur Unzeit, obwohl ich das ankündige. Vermutlich sind meine Worte für sie nur Gezwitscher, denn sie ist ja viel langsamer in der Zeit als ich, und wenn sie gegen zuviel Wasser protestiert, habe ich ihren Topf längst geflutet. Aber wir mögen uns gut leiden, haben einen Draht zueinander, eine Sorte Seelenverwandtschaft, von der ich nicht weiß, wie sie funktioniert.

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12 Kommentare zu Horchen Sie nicht an der Dose! – Verwirrendes über die Seele

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