Papiere des PentAgrion (18) – Unterwegs im Grauen Netz

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Der Thalys ist ein Hochgeschwindigkeitszug mit ähnlicher Technik wie der französische TGV. Er verbindet die Städte Paris, Brüssel, Amsterdam und Köln, wird betrieben von der Thalys-International mit Sitz in Brüssel. Im Jahr 1995 rollte der erste Thalys von Brüssel aus in den Aachener Bahnhof, ganz hinten, auf Gleis 9. Die Aachener Presse feierte das Ereignis, denn man sah es als Ehre an, dass der Aachener Hauptbahnhof ein Haltepunkt im Thalys-Netzwerk sein durfte. Der Thalys hatte für die 90er Jahre ein ungewöhnliches, futuristisches Design. Der Stil ist inzwischen auf einem Nebengleis gelandet. Heute wirkt der Thalys wie ein Produkt der veralteten Science Fiktion

Im Thalys gibt es nur reservierte Plätze. Für die kurze Strecke zwischen Aachen und Köln kann man von Deutschland aus nicht reservieren. Trotzdem weist ein Reiseplan der Deutschen Bahn AG den Thalys manchmal als Zugverbindung aus. Für diese Fälle befindet sich direkt hinter dem Triebwagen im Wagen 28 ein kleines Abteil für die wenigen Reisenden ohne Reservierung. Es hat acht Plätze an zwei Sitzgruppen. Der Thalys ist sehr eng. Man kann kaum zu den Fenstern hinausschauen, denn sie sind schmal und länglich mit breiten Holmen dazwischen. Sie liegen waagerecht, aber nicht so richtig auf Augenhöhe. Was sich die Designer bei der Planung in den 90ern dabei gedacht haben, erschließt sich nicht.

Am 2. November 2009 um 18:39 Uhr bestieg ich auf Gleis 9 des Aachener Hauptbahnhofs den Thalys 9450 von Brüssel mit Endhalt in Köln Hauptbahnhof um 19:15 Uhr. Trotz der Enge im Abteil 28 ist die Fahrt im Thalys ein wundersames Erlebnis. Schon der Blick in die anderen Wagen zeigt ein buntes Publikum, Menschen aller Nationalitäten sitzen dort und tun, als wäre es selbstverständlich, mit dem Thalys durch ein stattliches, aber exklusives Netzwerk zu sausen.

Alles nutzt sich im Leben ab, auch das Ungewöhnliche wird irgendwann Alltag und gewöhnlich. Gewöhnlich war auch die Sprache der Frau, mit der ich schräg gegenüber an der Tischgruppe des Wagens 28 saß. Das freilich hörte ich erst, als der Thalys in den Kölner Hauptbahnhof einfuhr und die Türen die ersten heftigen Pressluftgeräusche machten.

Vorher, während der Zug durch eine nicht erkennbare Landschaft sauste, als hätte er sich von der irdischen Welt in eine andere Dimension entzogen, hatte die Frau zunächst gelesen, dann geschlafen. Ich las in Samuel Peppys Tagebuch. Es umfasst den Zeitraum von 1661 bis 1669. So reiste ich mit dem Thalys durch das London des 17. Jahrhunderts. Peppys begann mit 24 Jahren eine steile Karriere als königlicher Beamter. Er arbeitete für das Schiffsamt und war später für die königliche Flotte verantwortlich. Sein Tagebuch ist ein pralles Bilderbuch seiner Zeit. Ich wusste in etwa, wo der Thalys sich gerade befinden müsste, unterwegs zwischen Aachen und Köln. Da gibt es auf halber Strecke einen fernen Höhenrücken der Eifel zu sehen, auf dem ich als Radsportler viel herumgefahren war, mit oftmals schönem Blick hinab auf Aachen und das Dürener Land. Das alles war wie weggewischt, der Thalys fuhr jeden einzelnen Passagier durch eine eigene Dimension.

Wo die junge Blondine mir gegenüber fuhr, hinter ihrer hohen Stirn, weiß ich nicht. Ich habe nicht auf den Titel ihres Buches geachtet. Der Umschlaggestaltung nach war es kein Buch, in dem ich hätte unterwegs sein mögen. Um dem Buch kein Unrecht zu tun: Mein Urteil kam aus der Kombination zwischen dem Buch und ihr. Obschon sie teuer gekleidet war, sogar recht hübsch, hatte sie etwas geschäftsmäßig Hartes im Gesicht. Das offenbarte sich erst recht, als sie schlief und ihr die Züge etwas entglitten. Wenn ich dann die Wahl gehabt hätte, entweder ihr Buch lesen zu müssen oder mich mit ihr zu unterhalten, hätte ich mir selbstverständlich das Buch angetan.

Kurz vor Köln stand ich als erster auf und ließ die Frau und zwei Männer am 2. Tisch zurück. Doch ich bekam die Tür nicht auf. Es nutzt nämlich nichts, am Griff zu ziehen. Dann ertönt ebenfalls nur ein lautes Pressluftgeräusch. Die Tür blieb zu. Da fragte einer der Männer: „Sollen wir es ihm sagen?“ „Nein“, sagte die Geschäftsblondine. Trotzdem sagte der Mann mir, ich müsste einen grünen Knopf über der Schiebetür drücken. Durch die offene Tür hörte ich den Mann noch etwas sagen. Da rief die Blonde: „Ach, du scheiße!“, und das klang aus ihrem Mund wie der Dialekt der Hölle ihrer Jugend.

Die Thalys International betreibt ein Graues Netz, mit Zentrum in Brüssel. Sie fährt Menschen, die dafür bezahlen, über die Köpfe der anderen hinweg. Im Netz gibt es nur wenige Haltepunkte. Daher sind graue Netze gefährlich. Sie entfernen die Menschen voneinander, obwohl sie verbinden. Man weiß nur nicht was oder wen.

Natürlich habe ich während der Fahrt mit dem Thalys durch die unsichtbare Nacht oft an die Papiere des PentAgrion gedacht. Besonders wegen Stijn van der Voorde, dem rasenden Reporter von Studio Brussel, den noch niemand aufgespürt hat, Careca nicht, Videbitis nicht, VerQuert, Merzmensch, Maranaz, der spekulationsfreudige Einhard, Immekeppel, selbst der findige Sittingfool weiß nichts Sicheres über Stijn van der Voordes Verbleib. Wenn er mit mir im Zug gesessen hätte, auf der Hin- oder Rückfahrt, es wäre mir verborgen geblieben. Denn eines ist sicher. Wenn van de Voorde mit dem Thalys durch das Graue Netz der Thalys International sausen will, dann hat man für ihn reserviert.

=> Fortsetzung: Aufmerksame Betrachtung eines schwarzen Regenschirms

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=> Schlüssel zu den Papieren des PentAgrion, weitere Handlungsstränge und diverse Verknüpfungen

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