Unter dem Nachthimmel beim Schein der Kerze notiert

Es ist ruhig über der nächtlichen Stadt. Die hohen Häuser ums Karree halten den Straßenlärm zurück, sollte es welchen geben. Tiefschwarz die Kastanie vor mir. Sie steht wie ein Scherenschnitt gegen den dunstigen Himmel und rührt kein Blatt. Ich sitze in der 4. Etage auf dem Balkon eines Freundes und schaue hinunter auf Dachgärten und andere Balkone. In der Reihe der Dächer zu meiner Linken kann ich durch eine Lücke das angestrahlte Dach des Marschiertors sehen, das Südtor der äußeren Aachener Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert. Da sind sechs Dachgauben auf dem Schieferdach, angeordnet zu einem spitzigen Dreieck. Es muss drei Speicherböden geben oder sogar mehr, denn auf dem Dachfirst hockt noch ein kleiner Turm.

Gegen Nord, rechts an der Kastanie vorbei, sehe ich in der Ferne den Dom und die Dächer der Altstadt. Auf dem Balkon unter mir plaudert leise ein junges Paar. Er ist kaum zu hören, seine Stimme mehr ein moduliertes Brummen, in dem verständliche Wortfetzen auftauchen und wieder versinken. Die wesentlich höhere Stimme der jungen Frau ist klar zu verstehen. Ihre Sprache fließt wie ein hübsch gewundenes Bächlein, aus dem lauter wohl gerundete Perlen aufsteigen und klangvoll moduliert zerplatzen.

Was sie sagt, würde banal klingen, wenn es von der brummenden Stimme des Mannes käme. Sie spricht von Paaren in ihrem Freundeskreis, zählt auf, wann sie geheiratet haben, ob sich bald oder spät der Nachwuchs eingestellt habe und warum wohl. Würde ein Mann mir solche Dinge erzählen, dann käme ich ins Zweifeln, ob er noch länger ein guter Umgang für mich ist. Doch weil diese dubiosen Erörterungen so hübsch dahinplätschernd an mein Ohr dringen, erwische ich mich dabei zu lauschen.

Kurze Unterbrechung

Gerade geht über der Stadt ein Feuerwerk hoch. Es schießen und brizzeln die Funken in den Nachthimmel, und die Böller höre ich als verzögertes Echo. Das knallt und prasselt vom Dach des Marschiertors herüber, und es lässt sich nicht entscheiden, was lauter knallt, das Feuerwerk oder sein Widerhall. Etwas mehr als eine Sekunde klappt das Echo den Feuerwerkskaskaden nach. Es ist ein preiswertes Feuerwerk, denn bald kehrt wieder Ruhe ein. Im Dunst über der Stadt stehen noch eine Weile die Rauchschwaden, dann ist der Spuk verflogen.

Wo waren wir? Ach, bei der Frau auf dem Balkon unter mir, die ihre gefälligen Worte rascher und geläufiger formt, als ich es je könnte, und dabei lauter artige Sätze bildet. Gerade hat sie über eine Freundin gesagt, die sei Mitte 30. Er protestiert. Da lacht sie silberhell über seine vermeintliche Unkenntnis der Mathematik. Gewiss hat er aber nur widersprochen, weil er die Frau für jünger gehalten hat. Männer können sich selten an das genaue Alter anderer Leute erinnern, allenfalls in begnadeten Momenten, und die sind, wie man weiß, ziemlich selten. Sie aber denkt offenbar, er habe ihre Interpretation gemeint und erklärt ihm geduldig: „34 ist bald Mitte 30.“ Da kann er nur zustimmen. Er tut so, als hätte er diese späte Einsicht ihrer Erklärung zu verdanken. In Wahrheit ist er froh, dass sie ihn nicht bei seinem schlechten Datumsgedächtnis ertappt hat. Harmonie trotz Missverständnis, es sollte öfter so zugehen im Leben.

Die Kerze auf dem Tisch brennt rasch herab, und weil sie gleich verlöscht, endet auch dieser Text.

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