Zurück aus der Zukunft — "Drei – zwei – eins – Jugger!"

Die Endzeit der menschlichen Kultur – wir arbeiten mit Nachdruck daran. Sie wird vermutlich nicht so sein wie in diversen filmischen Dystopien vorweggenommen wurde, denn bekanntlich kommt am Ende doch alles ganz anders. Eventuell aber werden die letzten Menschen sich Zerstreuung holen bei einem kämpferischen Ballspiel, das Jugger heißt. Denn obwohl es der filmischen Science Fiktion entsprungen ist, wird es gegenwärtig schon gespielt.

In dem Endzeitfilm „Die Jugger – Kampf der Besten“ (Australien 1989) mit Rutger Hauer ziehen Jugger-Mannschaften durch eine öde Endzeitwelt, um zur Belustigung der letzten Wohlhabenden Gladiatoren-Wettkämpfe auszutragen. Ihr Spielball ist ein Hundeschädel.

Junge Leute in Hamburg und Berlin haben aus der dramaturgischen Idee ein weitgehend harmloses Ballspiel entwickelt. Es ist freilich von der Theatralik und der Choreographie der filmischen Vorlage geprägt und sieht aus der Ferne martialisch aus. Damit entspricht es wohl dem Stilgefühl der von Rollenspielen und World of Warcraft beeinflussten Generationen. Inzwischen wird Jugger in vielen deutschen Großstädten gespielt. Seit 2003 gibt es eine bundesweite Liga mit offiziellen Wettkämpfen. Im Mai 2007 erhielt der Jugger e.V. Berlin die Sportförderungswürdigkeit. Jugger ist damit als Sportart anerkannt. Die Jugger in Niedersachsen streben die Aufnahme in den Landessportbund an, weshalb sie nicht mehr mit einem stilisierten Hundeschädel spielen, denn der Landessportbund findet das pietätlos.

Das ist nachvollziehbar, wenn auch bigott, denn beim Umgang mit lebenden Tieren ist die menschliche Rasse weniger zimperlich. Schließlich handelt es sich nicht einmal um Störung der Totenruhe, was man hingegen den Anfängen des Fußballs in England nachsagen kann. Das behauptet jedenfalls der Waldorf-Sportlehrer Rudolf Kischnick in seinem 1955 erschienenen Buch „Leibesübung und Bewusstseinsschulung“. Kischnick nennt Fußball „Das Totenkopfspiel“ und schreibt über dessen Entstehung: „So konnte es geschehen, dass man beim Roden und Urbarmachen des Landes auf die Überreste gefallener Dänen stieß, die nur notdürftig bestattet worden waren. Bei diesem Anblick regte sich instinktiv der Sippenhass. Man stieß die Schädel mit den Füßen hin und her, bis sie zerbrachen. Aus dieser spontanen Reaktion ist dann das Fußballspiel entstanden.“
Deshalb dürfen Waldorfschüler keinen Fußball spielen, und juggern dürfen sie dann wohl auch nicht.

Vor einigen Tagen habe ich im Georgengarten Hannover Jugger beim Training gesehen und in der Folge einen Film über den mir bis dahin unbekannten Ballsport gedreht. Bei den Gesprächen erwiesen die Jugger sich als freundliche und humorvolle junge Leute, anders als ihr kampfbetontes Spiel vermuten ließ.

Dass sich die Jugend stets neue Ausdrucksformen und Spiele sucht, lässt sich am Beispiel von Triathlon, Mountainbike, Downhill, Skateboarding und dergleichen ablesen, allesamt neue Sportarten, von denen einige inzwischen olympisch sind. Vielleicht werden wir in Zukunft auch Jugger bei den olympischen Spielen sehen. Schon jetzt ist das Spiel ein interessanter Fall von Konstruktion der Wirklichkeit durch Rückkopplung. Eine Zukunftsidee wurde in die Gegenwart geholt und hat unsere gegenwärtige und zukünftige Realität verändert.

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