Zirkus schlechten Geschmacks – Sloterdijks Seelenkunde

Über die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens schreibt Philipp Kron in der FAZ und verweist unter anderem auf „tiefe“ Bedenken, denn sie kommen nicht etwa aus dem hohlen Bauch, sondern sind einem Philosophenhaupt entsprungen:

„Noch tiefer gehen die Bedenken, die der Philosoph Peter Sloterdijk formuliert hat. Wenn der Mensch sich von Geburt an auf eine Alimentierung einstelle, komme seine Seele nicht darüber hinweg.“
faz.net

Woher weiß Peter Sloterdijk das? Ist er am Ende gar kein Philosoph, sondern ein Wahrsager und hat’s aus dem Kaffeesatz gelesen? Und wenn’s so wäre, wie Sloterdijk behauptet, wie muss man sich das vorstellen? Das Menschlein ist gerade dem Mutterleib entschlüpft, bekommt von der Hebamme einen Klaps auf den Po, und wenn’s dann im Arm der Mutter liegt, flüstert sie ihm ins Ohr: „Herzlich willkommen auf dieser Welt, und übrigens, du hast hier Anspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen.“ Da hört es auf zu schreien, gibt seinem Seelchen für immer frei und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. So ungefähr, Herr Sloterdijk?

Wird nicht in Wahrheit jedes neue Menschlein zunächst alimentiert, zumindest, bis es auf eigenen Füßen stehen kann und seine Händchen geschickt zu gebrauchen versteht? Dann freilich kommt es darauf an, ob es in der Dritten Welt lebt oder in Deutschland, wo es sein Brot frühestens nach der Hauptschule verdienen muss. Viele jedoch, Sloterdijk eingeschlossen, werden ihr Leben lang von der Gesellschaft alimentiert. Denn er wird nicht behaupten wollen, dass er seine Nahrungsmittel selbst anbaut oder Schweine einfängt und schlachtet. Er ist von diesen mühsamen Tätigkeiten freigestellt, und trotzdem konnte er zumindest Philosoph werden, wenngleich seine Philosophie in erster Linie auf begrifflicher Augenwischerei und Spekulation beruht. Egal, das darf er, denn unsere Gesellschaft ist großmütig. Allerdings ist nicht gesagt, dass sich unter den Bedingungen der gesellschaftlichen Alimentierung seine Seele entwickelt hat, ja, wir wissen nicht einmal, ob er eine hat. Er übrigens weiß das auch nicht, kann sie sich aber herbei philosophieren und kann anderen prophezeien, dass es ihrer Seele schadet, wenn sie Anspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen haben.

Welches Menschenbild propagiert Sloterdijk mit seiner Behauptung? Müssen wir unsere Kinder durch allerlei spartanische Härten treiben, sie prügeln und hungern lassen, damit sie auf die Idee kommen, sich innerlich aufzurichten und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen? Wenn dem so wäre, wie kommt es dann, dass der Anteil von Studierenden aus unteren Schichten nur sieben Prozent beträgt? Und wieso haben 82 Prozent der wirtschaftlichen Führungskräfte in Deutschland selber einen Chef zum Vater, obwohl sie gewiss stärker alimentiert wurden als ein Grundeinkommen möglich macht? (Spiegel online; Mythos Chancengleichheit)

Es wäre ja wohl vermessen zu sagen, die in Akademikerfamilien beliebte Kuschelpädagogik inklusive Rundum-Alimentierung bringe nur seelische Krüppel hervor. Sicher kann man dagegen sagen, dass jedes Kind neugierig ist und sich Herausforderungen sucht, wenn man ihm ein behütetes und einigermaßen angstfreies Umfeld bietet. Dazu ist unsere Gesellschaft derzeit nicht in der Lage, und daher geht kein Weg am bedingungslosen Grundeinkommen vorbei, wenn wir keine Gesellschaft von Herren und Knechten wollen, abgesegnet von Dampfplauderern wie Sloterdijk.

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