Erneut musste ich meine Zuckertütchensammlung auflösen, weil ich nämlich vergessen hatte, beizeiten neuen Zucker zu jagen. So scheint es, als hätte ich sowohl als Jäger wie auch als Sammler versagt. Dem möchte ich widersprechen, denn ich kann durchaus behaupten, seit vielen Jahren ein Sammler von Zuckertütchen zu sein, ohne eine große Sammlung zu besitzen. Es ist auch nicht erforderlich, dass ich zum Beweis meiner Sammlertätigkeit die Zuckertütchen fotografiere. Ich bin schließlich kein Sammler von Zuckertütchenfotografien.
Ein guter Freund von mir sammelt einiges, unter anderem die verschiedenen Aggregatzustände von Bananenschalen. Genauer, er fotografiert sie, denn eine reale Sammlung von Bananenschalen würde sich ja ständig verändern, und am Ende wären die einzelnen Aggregatzustände kaum noch voneinander zu unterscheiden. Wie kommt er dazu, Fotos von Bananenschalen zu sammeln? Ihm ist aufgefallen, dass Bananenschalen nicht weggeworfen, sondern abgelegt werden, auf Fensterbänke, in Hausecken, auf die grauen Kästen der Post oder andere Stadtmöbel. Diese interessante kulturelle Prägung dokumentiert er, die allgemeine Übereinstimmung, dass Bananenschalen nicht weggeworfen werden dürfen, denn es könnte jemand darauf ausrutschen. Ich wüsste gern, ob diese Übereinkunft auch im Osten gilt. Dort ist man bekanntlich erst spät auf die Banane gekommen, und es hat gewiss keine Lehrfilme gegeben, in denen die Gefahr des Ausrutschens eindrucksvoll demonstriert wurde. Jedenfalls gehört es zum Kulturgut unserer Gesellschaft, Bananenschalen nicht achtlos wegzuwerfen, sondern sie sorgsam abzulegen. Das ist angesichts der sich rasch ändernden Wertvorstellungen eine erstaunliche Konstante.
Gut, auf meiner Zuckertütchensammlung ist noch niemand ausgerutscht, denn sie existiert weitgehend in meiner Erinnerung. Heute wurde sie wieder einmal komplett aufgelöst, ein Vorgang, der nur von geringem allgemeinem Interesse ist, für mich aber etwas durchaus Befreiendes hat. Mit dem Zucker ists wie mit Geld, beides soll nicht angesammelt werden, sondern fließen.
ANSAMMELN, colligere, anhäufen: das wasser sammelt sich an, flieszt nicht ab; eine zwölf monate nach des mannes tod kindes entbundne witwe meinte: das hat sich noch vom seligen manne her angesammelt, ist noch altes sammelsurium.
(Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm)
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