Durch Suff und Schlamm in fünf Etappen

„BKS“ – Bei Karl saufen … war so ziemlich die einzige Freizeitbeschäftigung, die sich auf unserem Dorf am Wochenende anbot. Karl war Knecht bei einem Bauern gewesen, hatte dann eine dralle Witwe geheiratet, die zwei ebenso dralle Töchter mit in die Ehe brachte und offenbar Geld genug, die Kneipe zu eröffnen. Ob er sich als Angestellter seiner Frau betrachtete und deshalb sein bester eigener Kunde war, kann ich nicht sagen. Jedenfalls litt er am Leben, und deshalb schluckte er gewaltig, besonders samstags. Gegen ein Uhr nachts schloss er die Außentür ab, und oft stellte er sich danach zu den anderen vor die Theke und überließ den Zapfhahn einem vertrauenswürdigen Säufer. Wer nach der offiziellen Sperrstunde noch hineinwollte, klopfte an den geschlossenen Fensterladen.

Einer von denen, die nachts an den Laden klopften, war Spickermanns Jries. Jries ist Kölsch platt und bedeutet Grau. Wieso Spickermann diesen Übernamen hatte, weiß ich nicht, denn eigentlich trug er auf dem Kopf eine blonde Föhnfrisur. Spickermann hatte eine stattliche Waffensammlung und im Keller seiner Eltern einen Schießstand. Er arbeitete in Köln bei der Zeitung, und irgendwie war er freier Mitarbeiter beim WDR geworden, wo er bei Filmproduktionen mit scharfer Munition schoss. Das musste ziemlich einträglich gewesen sein, denn Spickermann warf mit dem Geld um sich, als gäbe es kein Morgen. Er fuhr stets den neusten Porsche, und der wurde nicht alt, denn Spickermann hatte im besoffenen Kopp schon manchen Chausseebaum gerammt. Sein Frauenverschleiß war ähnlich, man sah in selten zweimal mit derselben. Vermutlich wollte sich keine mit Schmackes um einen Chausseebaum wickeln lassen.

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Einmal standen wir zusammen an der Theke, und da ließ ich mich von Spickermann überreden, in sein Auto zu steigen, um in einen Nachbarort zu fahren, wo auf dem Schützenfest angeblich richtig was los war. Da hatte ich ein Gipsbein, denn mir war in der Druckerei eine Rolle Rotationspapier auf den Fuß gefallen. Vermutlich dachte ich damals, jetzt ist eh schon alles egal, und ich bin ja teilweise armiert. Vor der Tür stand allerdings kein Porsche. Ich hob und schob mein Gipsbein in einen VW-Käfer. Obwohl er behauptete, das sei nur eine Übergangslösung, bis der neue Porsche zu haben wäre, ahnte ich, dass es langsam bergab ging mit Spickermann. Während der Fahrt griff er zu mir herüber, holte einen Armeecolt aus dem Handschuhfach, kurbelte bei sich das Fenster runter und ballerte auf Verkehrsschilder.

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In einer anderen Nacht, Karl weigerte sich beharrlich, noch etwas Essbares aus der Küche zu holen, sagte Spickermann: „Dann gehen wir zu mir und essen Kartoffelsalat!“ Da dachte ich, der Kartoffelsalat stünde fertig in der Küche. Als wir jedoch zu Fünft das stille Haus betreten hatten, öffnete er die Schlafzimmertür seiner Eltern und befahl in die verschnarchte Dunkelheit hinein: „Mamm, ston op un maach uns Ädäppelschlot!“ Wenig später kam seine schlaftrunkene Mutter im Morgenmantel zu uns in die Küche und bereitete schweigend Kartoffelsalat zu. Obwohl schon ziemlich betrunken, war ich unangenehm berührt. Nie wieder habe ich so einen peinlichen Kartoffelsalat gegessen. Danach mied ich Spickermanns Gesellschaft. Aber noch heute denke ich, man muss auch solche Leute mal aus der Nähe erlebt haben, damit man sich nicht von leicht verdientem Geld, Föhnfrisuren und glänzenden Automobilen blenden lässt.

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Später ging Spickermann vor die Hunde, konnte die Alimente für ein achtlos gezeugtes Kind nicht mehr bezahlen und lebte von Sozialhilfe. Seinen Eltern wurde das Haus unterm Hintern versteigert, denn sie hatten sich überschuldet, um den aufwendigen Lebensstil ihres missratenen Sohns zu finanzieren. Der Vater war immer nur mit dem Fahrrad gefahren, und nie hatte ich ihn anders gesehen als im dreckigen, ölverschmierten Blaumann.

Jetzt kommt der Schlamm. Es gibt viele Charaktere vom Schlage Spickermanns Jries. Die schlaueren unter ihnen wissen sich jedoch abzusichern. Sie fahren ihre Automobile nicht selbst, sondern lassen sich fahren. Sie gehen nicht vor die Hunde, sondern lassen andere vor die Hunde gehen. Und um ihre üblen Neigungen zu befriedigen, streben sie Macht und hohe Ämter an. Die weniger Begabten sitzen in Regierungen oder sind Staatssekretäre, die richtig Cleveren sind Manager in Großunternehmen, und die wirklich Gerissenen sitzen im Vorstand von Banken.

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Falls du jetzt einwenden willst, dass nicht alle den selbstsüchtigen Spickermann-Charakter haben und nicht alle verkappte Hasardeure ohne Rücksicht und Gewissen sind – geschenkt. Von den anderen rede ich nicht. Die Rede ist von bigotten Politikern, die billigend in Kauf nehmen, dass unsere Kinder in Schulen sitzen, wo der Putz von den Wänden fällt. Die Rede ist von den Ganoven, die uns die Finanzkrise beschert haben und sich gerade auf ihren Yachten erholen. Die Rede ist von verlogenen Sonntagsrednern, die sich zu Bütteln der Banken machen und ihnen Steuermilliarden unterschieben, ohne abzusichern, was damit geschieht. All diese Leute und ihre Zuarbeiter mit Einser-Examen von Elitehochschulen sind verächtliche Existenzen und weit schlimmere Figuren als Spickermanns Jries. Denn sie verjubeln gerade mehr als Oma ihr klein Häuschen. Sie fahren unsere Gesellschaft an die Wand. Und falls du glaubst, dass meine Worte zu hart gewählt sind, dann nimm dir die Zeit und lies das hier. Gemessen an diesem Pack war Jries noch ein Mann von Ehre. Denn er hat nie behauptet, etwas anderes zu sein als er war – nicht sozialfähig.

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