Zirkus schlechten Geschmacks – Schuld abladen verboten

Was die Uhr geschlagen hat, konnte man letzten Freitag im Magazin der Süddeutschen Zeitung erfahren. Das Heft hieß „Umdenken!“, doch um das zu lesen, musste man sich auf den Kopf stellen, ersatzweise das Heft drehen. Dann stand da noch: „Wir alle müssen lernen, Wirtschaft völlig neu zu begreifen, bevor es wieder aufwärts gehen kann. Ein Heft über die wahren Gründe der Krise“. Dieses vereinnahmende „wir“ möchte man sich gern verbitten, denn es klingt nach der Verteidigungsstrategie aus dem Kindergarten, die anderen hätten ja auch mitgemacht. Im selben Tenor macht SZ-Autor Christian Nürnberger weiter: „Rendite wird gemacht, weil wir alle es wollen – es war unsere eigene Gier, die die Banken befeuert hat.“ Weiter vorn titelt Georg Diez: „WALL ST – Die Krise als Folge menschlichen Versagens: Viele Banker haben zu lange geglaubt, das System sei stärker als seine Einzelteile.“

Anzeigenfreundliches-Umdenk

Es ging also um Glauben, um eine Sorte Gottvertrauen. Es wäre billig zu sagen, die Banker und alle anderen Protagonisten der Krise hätten an Geld geglaubt. Nein, soweit sie sich überhaupt Gedanken gemacht haben, glaubten sie an die wirtschaftstheoretische Idee der unsichtbaren Hand, an ein systeminhärentes Ordnungsprinzip, das angeblich den Markt regiert und stets dafür sorgt, dass das System funktioniert. Das ist magisches Denken, neoliberale Ersatzreligion, vergleichbar dem Hoffen der Ufologen, Außerirdische würden kommen und die Welt erretten.

Leider hat man
sich in der SZ-Magazin-Redaktion nicht auf den Kopf gestellt, sondern den Kopfstand nur dem Leser abverlangt. Schade, es hätte euch gut getan. Würdet ihr bitte zur Kenntnis nehmen, dass außerhalb eurer verschmockten Welt viele Menschen leben, die eben nicht mitgemacht haben? Nur ein kleiner Prozentsatz der Weltbevölkerung hatte überhaupt die finanziellen Mittel, das zu tun. Und wenn ihr im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung jahrelang das hohe Lied der Rendite gesungen habt, dann ist euch wohl entgangen, wie viele sich diesem kakophonen Chor verweigerten, da sie andere Vorstellungen von einem menschlichen Gemeinwesen haben. Klar, der Chor der neoliberalen Schrägsänger war stattlich groß. Gegen ihn wären die Fischerchöre im Berliner Olympiastadion nur ein Häuflein. Doch gemessen an der gesamten Menschheit war der Chor nicht größer als ein Quartettverein, ein neoliberaler Sängerclub, der sein verkommenes Liedgut unbedingt ohne Dirigenten singen wollte. Leider besetzte er im globalen Dorf fast alle Verbreitungsmedien, und daraus zog er seine weltumspannende Penetranz. Das war, mit Verlaub, für die Ohren der Welt, was Harzer Käse für die Nase ist. Einige wenige haben das große Rad gedreht und die Welt in eine Finanz- und Wirtschaftskrise getrieben, die sogar das Kapital unserer Enkel verbrennt. Was war der Grund? Die Gierigen hätten „menschlich versagt“, sagt das SZ-Magazin. Diese banale Erkenntnis ist wirklich hübsch. Wer hätte je ernsthaft geglaubt, dass schlichte Finanzmenschen über die charakterliche Stärke verfügen, ihre unkontrollierte Macht nicht zu missbrauchen?

Eben weil der Mensch fehlbar und verführbar ist, muss er sich einer sozialen und politischen Kontrolle unterwerfen. Der lautstarke Ruf der Neoliberalen nach Entmachtung der Dirigenten ist gerade verhallt, da tun jetzt alle, als wären sie erst gestern vom Mond gefallen, hätten nicht die Abschaffung von angeblich markthinderlichen Gesetzen verlangt, hätten niemals die Privatisierung und den Ausverkauf des Volksvermögens gepredigt und nicht billigend in Kauf genommen, dass wichtige soziale Errungenschaften einer Nivellierung nach unten weichen mussten.

Billiges-VergnügenIm Heft werden die Propagandisten des Raubtierkapitalismus Hans-Olaf Henkel und Hans-Werner Sinn am Nasenring vorgeführt: „Friede ihrer Masche – Die Krise als Weckruf: Warum haben wir so lange den üblichen Wichtigtuern vertraut?“ Ja, warum wohl? Vom Geld verblendet und daran verblödet? Oder liegt es an der Abhängigkeit der Zeitungen von großen Anzeigenkunden aus der Wirtschaft? Habt ihr wirklich nicht gemerkt, dass Sinn und Henkel nur Sprachrohre sind der Zolleintreiber vor dem Irrenparadies? Viele Jahre hatten diese falschen Propheten in allen Medien ein willfähriges Forum, auch in der Süddeutschen Zeitung. Man hätte sie und Konsorten vor der Krise fragen sollen, wer denn ernsthaft eine hässliche, harte und für viele tödliche Welt haben möchte, die nur dem Gewinnstreben verschrieben ist. Jeder denkende Mensch hat sich doch ausmalen können, dass das Zocken um Geld und der Irrwitz der überzogenen Renditeerwartungen die Menschheit, ja den gesamten Globus in den Abgrund treiben würden.

Es gilt, die Dinge wieder auf Füße zu stellen, Kopf gestanden haben sie lange genug. Leider geht der Irrwitz weiter, und so auch im SZ-Magazin. Hinter einer ganzseitigen Uhrenwerbung folgen fünf Foto-Seiten über teure Armbanduhren. Es ist nicht zu erkennen, ob es sich um einen redaktionellen Beitrag handelt oder um die Fortsetzung der Werbung. So stylisch die Seiten auch gemacht sind, sie sind vor allem eines, ein Beispiel für den Verfall journalistischer Sitten. Also, liebe SZ, bevor ihr dem „gierigen deutschen Michel“ unterjubelt, was die Uhr geschlagen hat, bringt mal euren eigenen Laden in Ordnung. Wir brauchen vertrauenswürdige Printmedien.

Dieser Beitrag wurde unter Teppichhaus Intern abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

0 Kommentare zu Zirkus schlechten Geschmacks – Schuld abladen verboten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.