Zirkus des schlechten Geschmacks – First-Class-Möhrchen

Da-fährt-unsere-Bahn!
„Sie dürfen erster Klasse fahren, eine Aktion der Bahn im November“, sagte die Dame am Fahrkartenschalter. Natürlich heißt das bei der Deutschen Bahn AG nicht mehr so. Die hinterm Tresen tragen ja auch keine Dienstmützen. Ich stand in Wahrheit im Service-Point der Bahn am TicketOffice, BookingTerminal, BookingOffice oder TicketTerminal, hatte ein Second-class-ticket gekauft und darf am Samstag first class fahren. Das hat gewiss mit der Sitzverknappung durch die ICE-Ausfälle zu tun. Ich vergaß zu fragen, ob ich auch im Wartesaal erster Klasse sitzen dürfte, vielmehr in der DB Lounge, wo Reisende der 1. Klasse laut Bahnwerbung „alles“ finden, „was den Aufenthalt so angenehm wie möglich macht: elegante Sitzlandschaften, eine Auswahl an Inklusivgetränken und funktionelle Laptop-Arbeitsplätze mit T-Mobile HotSpot-Internetzugang.“

Bislang habe ich allenfalls auf den „eleganten Sitzlandschaften“ der Bahnsteige gehockt, wo die Bahn leider keine Inklusivgetränke und auch keinen HotSpot-Internetzugang anbietet, sondern hübsche Anblicke der Verrottung. Einmal sah ich in einem dreckigen Bahnhof den Bahnchef Mehdorn. Doch dann war es nur ein hässlicher Coffie-to-go-Fleck auf dem Betonboden.

Mehdorn hat kürzlich in einem Stern-Interview gesagt: „Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich beliebt bin.“ Er und seine Vorstandskollegen lassen sich lieber von Bahnkunden und Steuerzahlern dafür bezahlen, die Bahn an die Börse zu bringen, und wenn der Börsengang trotz der Turbulenzen am Aktienmarkt gelingt, gibt es einen ordentlichen Bonus. Der Vorstand hat sich selbst eine Sonderzahlung bewilligt, und der Staatssekretär Matthias von Randow hat im Aufsichtsrat zugestimmt, wie es sich für einen treuen Dackel gehört.

Die Selbstbedienung hat innere Logik, denn Mehdorn hat Bahnkunden und Steuerzahler ja auch nicht gefragt, ob er das Volkseigentum Bahn für den geschätzten Spottpreis von acht Milliarden Euro verhökern soll. Acht Milliarden jagen Landesbanken, IKB und KfW in einer Woche durch den Schornstein. Die Bahn an Investoren zu verkaufen, ist skandalös und gegen jede Vernunft. Die negativen Auswirkungen dieses Plans zeigen sich überall. Die Bahn spart in der Provinz, wo sie kann und auch dort, wo sie es eigentlich gar nicht darf, sie erhöht in kurzen Intervallen die Preise, verringert die Zahl der Belegschaft, weshalb man unter anderem auch die Wartungsintervalle der Züge verlängern muss, und das alles nur, weil Mehdorn seine Eitelkeit befriedigen will. Und wie man am Fall der Boni sehen kann, leidet er auch an Gier.

Laut Mehdorn besteht die Belohnung aus „Möhrchen“. Das klingt ulkiger als „Peanuts“, zeigt aber den gleichen Wirklichkeitsverlust. Es fehlt diesen Leuten die menschliche Größe, ein Millionengehalt zu ertragen. Jedenfalls möchte ich die Bahnvorstände nicht dabei sehen, wie sie nach einem erfolgreichen Börsengang der Bahn ihre Belohnungsmöhrchen knabbern, die wir ungefragt gestiftet haben. Möhrchenmillionäre will ich lieber gar niemals sehen, und erst recht nicht, wenn sie in Sitzlandschaften lagern und mit ergaunerter Kohle die Puppen tanzen lassen.

Tretet dAdA rein!

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