Tanz den Hauptstadtrumba – Weltbloggertreffen in Berlin

Hauptstadtrumba

„Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“ (Karl Valentin)

Berlin ist eine wirklich schwere Stadt, und trotzdem hatte ich es dort leicht. Die Erdenschwere liegt vermutlich an der Masse der gigantischen Häuserfluchten mit ihren Hinter-, Hinter- und Hinterhöfen und an den zyklopenhaften Bauten, deren Geschichte tief in den löchrigen Untergrund reicht. Der gewaltige Klotz Berlin macht bleierne Füße, und wie zum Hohn sind die Straßen so lang, dass man die Erdkrümmung zu sehen meint. Berlin zu erlaufen, lohnt sich also nicht, und darum jagen tief im Grund unzählige U-Bahnen durch ein gigantisches Rohrpostsystem, das dich unversehens in irgendeinem Stadtteil von Berlin ausspuckt, du denkst, „huch, wo bin ich?“, und dann kannst du sehen, wo du bleibst. Die Stadtteile unterscheiden sich allenfalls durch ihren jeweiligen Erhaltungszustand, und wenn du einen nach dem Weg fragst, kennt er sich nicht aus. Der erste versteht dich nicht, der zweite ist gerade aus einem anderen Kiez zugezogen, der dritte kommt eigentlich aus El Barraco und ist auf der Suche nach dem Hauptbahnhof. Man braucht also Gewährsleute, am besten Ur-Berliner. Du darfst sie allerdings nur gezielt befragen. Eine zu offene Frage löst einen Informations-Erdrutsch aus. Am Ende könntest du eventuell die Heimatkunde-Bände; Berlin-Kreuzberg 1-3 zu Papier bringen, was freilich ein sinnloses Unterfangen wäre. Denn die Geschichte dieser Stadt wurzelt nicht nur tiefverästelt im Boden. Sie schreibt sich auch so rasend fort, dass man selbst den aktuellen Entwicklungen nicht hinterher stenographieren kann. Warum ich es trotzdem leicht hatte, obwohl die Stadt meine Sinne flutete und an den Füßen zerrte und zog?

Mir ist auf dem Rückweg etwas Seltsames passiert. Ich musste in Dortmund in einen Regionalexpress umsteigen. Dort setzte ich mich versehentlich in die 1. Klasse. Es sah dort genauso schrottig aus wie in der 2. Klasse. Man hat lediglich eine transparente Eins auf die Tür zu einem Schrottabteil gedruckt, die ich übersah. Vor Mülheim kam der Schaffner, um zu gucken, ob wieder einer in die Falle gegangen war, diesmal also ich. Die Deutsche Bahn AG will jetzt 40 Euro von mir, und meine Daten will sie „auswerten und weiterverwenden“, was wie eine böse Drohung klingt. Zum Glück bin ich kein Wiederholungstäter, sonst ließe mich Mehdorn vermutlich des Landes verweisen. Oder ich würde interniert und müsste lebenslänglich im Finanzbetrüger-Bergwerk schuften. Natürlich war ich der Bahn aus Unaufmerksamkeit ins Netz gegangen, doch dass sie mich so leicht übertöpeln konnte, lag vermutlich daran, dass ich noch nicht umgeschaltet hatte. In Berlin musste ich mich nämlich kaum um etwas selbst kümmern, zumindest, was Unterkunft, die Wege und die zu nutzenden Verkehrsmittel betraf. Der Weltgeist hatte mir eine umsichtige, kundige und liebenswerte Berlin-Führerin beschert. Ich weiß noch gar nicht, wie ich dazu komme, denn einen solchen Luxus hat er mir nie zuvor gegönnt, also der Weltgeist oder wie der Kerl heißt. Prompt schaltete meine eigene Orientierung auf Sparmodus. Das Gehirn ist halt immer auf Schonung der Ressourcen bedacht. „Hallo! Jemand zu Hause im Oberstübchen?! Die Knauserigkeit kostet mich jetzt 40 Euro!“

Wie war es eigentlich
abends bei Mokono, unserem Blog-Hoster? Da sind wir noch lange nicht, denn die Oranienstraße zieht sich und wir wissen nicht einmal genau, ob wir in die richtige Richtung laufen. Denn bei den Berliner Hausnummerierungen werden alle Möglichkeiten der Zahlenpermutation ausprobiert, so dass selbst die Bewohner der Straßen nicht recht wissen, wie die Hausnummern sortiert sind. Wir kommen also zu spät, zumal wir auch das Treppenhaus zu den Mokono-Büros nicht sofort finden.

Die gewaltigen Hausmauern großer Städte sind ja noch ungenutzte Kraftwerke. Den Tag über heizt die Sonne sie auf, und da niemand die Wärme abgreift und in Energie umwandelt, trocknet sie die Luft der Straßen und dehydriert das wehrlose Volk auf den Bürgersteigen. Deshalb reihen sich in den Straßen von Berlin die Oasen der Kioske an Cafes, an Kneipen und wieder an Kioske. Die Bürgersteige sind zugestellt mit Tischen und Stühlen, was unsere Lage nicht erleichtert, denn wir wollen ja nicht niedersinken und heimisch werden. Genau das scheint vielen Berlinbesuchern zu passieren. Eigentlich wollten sie irgendwohin, kamen jedoch nicht an, resignierten und siedelten, wo die Kräfte sie verließen. Da wundert es nicht, dass Berlin wegen „Überfüllung geschlossen“ ist, wie eine Ansichtskarte behauptet. Wir jedoch steigen unverdrossen über die fatalistischen Zwangsberliner hinweg, kämpfen uns durch bis zur Oranienstraße 183, durchqueren einen Hinterhof, einen Hinterhof und noch einen Hinterhof, steigen auf die 3. Etage und taumeln mitten ins Weltbloggertreffen in den Räumen der Mokono GmbH. Zunächst interessieren wir uns nur für Flaschen. Zum Glück sind in einer Ecke die Bier- und Saftkästen zu Kompanien und Regimentern gestapelt und zur Selbstbedienung freigegeben. Den Organisatoren von Blog.de vielen Dank für diese Vorsorge.

Oben-im-dritten-Hinterhof

Die Wahrscheinlichkeit, dass du unter den Myriaden von Weltbloggern jemanden triffst, den du kennst oder der dich kennt, ist verständlicherweise gering. Deshalb hat das Blog.de-Team jeden Besucher mit keinem Namenschild ausgestattet. Kater Murr, Orphelins und Caramellino sind auch da, und im Nu werden Hände geschüttelt und freundliche Worte ausgetauscht, so dass wir gar nicht hören, wie Blog.de-Chef Vasco Sommer die Anwesenden begrüßt, sich und sein Team vorstellt, das Programm erläutert und einen umfassenden Ausblick gibt auf die Zukunft des faszinierenden Mediums Weblog. Schade eigentlich. Derweil sitzt Blogfreund Prinz Rupi hinter einer fernen Glasscheibe und bittet jeden Weltblogger vor die World-Wide-Webcam, der sich in die Nähe der Tür wagt, zum Beispiel mich. So findet unsere erste Begegnung vor laufender Kamera statt, eine überaus seltsame Erfahrung, die wohl symptomatisch ist für die digital vernetzte Welt. Du triffst einen Menschen, dem du schon lange einmal begegnen wolltest, und sofort wird alles entmaterialisiert und digital verdünnt in die Welt hinausposaunt. Unsere Nachfahren werden sich vermutlich überhaupt nur noch miteinander abgeben, wenn eine Kamera mitläuft, weil sie sonst nicht genau wissen, ob die Sache überhaupt stattfindet.

Wir haben auch einen Zeugen in der realen Welt. Er nimmt auf einem Stuhl beim Eingang Platz und überwacht den korrekten Ablauf. Zunächst denke ich, er ist der Regisseur. Doch später stellt sich heraus, dass er in einer Mission unterwegs ist. Ich habe seine Botschaft leider nur über Dritte gehört. Man soll, glaube ich, in seinem Auftrag eine weiße Bohne aus dem Wörterbuch ausschneiden, sie auf eine Postkarte kleben und ins Missionszentrum schicken. Dann wird man das Wort unmöglich vergessen und kann fürderhin so gut wie alles, nur keine Mauer bauen, die so hoch ist, dass man selber nicht drüber springen kann.


Vorab eine
Entschuldigung für den mühselig zu lesenden nächsten Absatz, in dem sich die scheußlichsten Substantivierungen oder auch Nominalisierungen wie zu bewältigende Treppenstufen in den Weg legen. Zur Entschädigung wird der Text später ganz flach, so flach, dass du manchmal den Kopf einziehen musst, denn wir machen eine Brückenfahrt über den Landwehrkanal und die Spree, und natürlich geht’s nicht über die Brücken, sondern darunter her.


Das Vor-die-Tür-treten
galt früher primär dem Frischeluftschnappen oder Beinevertreten. Diese harmlose Verhaltensweise ist inzwischen abgelöst worden durch das Immer-wieder-mal-vor-die-Tür-treten zum Zwecke der Inhalation schädlicher Verbrennungsgase. Grund: Die um sich greifende Raucherstigmatisierung und der trotzige Widerstand der Tabak-Tupamaros, die sich auch nicht durch zahlreiche Treppenabsätze schrecken lassen. So pendelt eine Gruppe von Rauchern und Sympathisanten beständig zwischen den Räumen der Mokono-GmbH und dem Treppenvorplatz im dritten Hinterhof. Hier erfahre ich von Herrn Licht und Schatten, was er in langjähriger Beobachtung über die Webstruktur der Teppichhauswaren herausgefunden hat, dass nämlich zuerst immer etwas anderes kommt als am Schluss, wo auf dem mentalen Rauchervorplatz die Quintessenz hockt und einen Joint durchzieht. Falsch, das mit dem Joint hat er nicht gesagt. So gescheit und kommunikativ geht’s halt zu beim Zigarettendrehen, Abbrennenlassen und Kippenaustreten. Überhaupt rücken hier die Weltblogger viel näher zueinander. Hoch die internationale Rauchersolidarität! Wer wissen will, was derweil oben in den Büros gesagt und getan wurde, wie man die Löcher im Kommunikationsnetz stopfte, wenn die Raucher schon wieder die Stiegen hinunterpolterten, der sollte ergänzend die Veröffentlichungen der Nichtraucher unter den Weltbloggern lesen. Das gilt auch für den lesenswerten Bericht über den Weltblogger-Abend im Bauch des „Würgeengels“.

Zwischenspiel: Eine Brückenfahrt mit der Reederei Riedel steht an. Das ist keine Schleichwerbung, sondern geschieht hier zu Ehren meiner verstorbenen Tante, die auch so hieß, denn sie hatte einst einen Schlesier gleichen Namens geheiratet. Nein, sie hieß nicht Reederei. Folgendes: Während unserer Schiffstour wird ein Tonband abgespielt. Seine Lautsprecher beschallen uns auf dem sonnigen Oberdeck, beinahe synchron zu den Sehenswürdigkeiten, an denen wir vorbeiziehen. Gelegentlich ergreift auch der Kapitän das Mikrophon, um aktuelle Durchsagen zu machen in Form launiger Bemerkungen. Links sitzt ein freundlicher, agiler Ur-Berliner und rollt die Geschichte Berlins auf und ab, konkretisiert durch autobiographische Anmerkungen. Dazwischen perlt der hübsche Wortwitz einer bekannten Weltbloggerin. Das ganze ein hörenswertes Simultangedicht. Leider ist auch dieser Livestream durch intergalaktisches Rauschen gestört. Trotzdem ist etwas in dem bald folgenden Bilderbogen zu hören. Allerdings nur wenn man den Lautstärkeregler bis zum Anschlag öffnet.

Berlin-vom-Wasser-aus

Man kann nicht mal vier Tagen Berlin hinterher stenographieren, bei all den Eindrücken, schönen Begegnungen und Gesprächen. „Und das ist auch gut so!“ Jenau, Herr Wowereit, das wollte vermutlich niemand lesen, zumal es im Internet ohnehin bald mehr Autoren als Leser gibt. Es hat daher etwas liebenswert Altertümliches, anlässlich eines Welt-Bloggertreffens eine Autorenlesung zu besuchen, wo ein gestandener Autor aus einem echten Buch vorliest, das sorgsam und mit Bedacht geschrieben, redigiert, gestaltet und gedruckt ist. Von Burkhart Kroeger, der Ecos „Der Name der Rose“ ins Deutsche übertragen hat, habe ich gelesen, dass er oftmals tagelang nach der passenden Übersetzung eines Wortes oder einer Wortwendung suchen musste. Manchmal wurde er erst bei langen Spaziergängen fündig oder nachdem er darüber geschlafen hatte. Diese Sorgfalt im Kleinen wird einem guten Buch gerecht. Es braucht einfach Zeit und ist nicht gemacht wie ein Eintrag im Blog, der nass aus der Tastatur flutscht und sogleich um die Welt saust.

40-Jahre-zurück

Wilhelm Ruprecht Frieling nutzt die neuen Medien virtuos, und trotzdem ist er ein Mann des Buches geblieben. Ein Profi kennt sich aus, weiß Bescheid, was war, und erkundet, was ist. Denn natürlich löst das Internet die Buchkultur nicht ab, da gesellt sich nur eins zum anderen. Auch Blogger brauchen beides – einbeinig lässt sich der Medien-Rumba nicht tanzen.

Viele Autorenlesungen triefen Ernst. Bei Frieling geht’s heiter zu. Er ist fest entschlossen, das Leben von der ulkigen Seite zu betrachten, denn dort hat es eine offene Flanke, in der man prima herumpulken kann. Einheit von Form und Inhalt: Auf dem Podium in der alten Neuköllner Post sitzen Statler und Waldorf. Sie haben Frieling den Platz in ihrer Mitte freigehalten, und der tut alles, um zwischen ihnen zu bestehen. Die beiden Nörgler sind sprachlos, der Mann stiehlt ihnen die Show. Er scheut sich nicht, einen Tropenhelm aufzusetzen und ein gelbes Hemd mit Buschornamentik über den Dreiteiler zu ziehen, wenn er berichtet, wieso es mit der Millionen-Erbschaft nichts geworden ist, die ihm Onkel Wumba aus Kalumba vermacht hat. Man hat kein Mitleid, sondern denkt: Braucht dieser heitere Mann überhaupt soviel Geld? Er ist doch glücklich mit seinen Projekten, dem Prinzenpalast und der entzückenden Ehegattin, die ich später kennen lerne. Ich glaube zwar nicht, dass sie ihm seine Radiergummis anspitzt. Doch gewiss wird sie ihn gestützt haben, nachdem sich die Millionen von Onkel Wumba verflüchtigt hatten. Nie zuvor sah ich einen Mann so leichthin auf einen Batzen Geld verzichten. Allerdings: Was sind schon Millionen? Wo man uns doch gerade erzählt, dass viele SteuerMilliarden grad mal reichen, denen zu helfen, die Billionen, hast du gehört: „BILLIONEN!“ gerafft oder verplempert haben, die ihnen gar nicht gehörten. Nix da, der edelmütige „Mister Alfred Bocovo, seines Zeichens Rechtsanwalt im westafrikanischen Benin“ ist unschuldig, denn es gibt ihn gar nicht. Frieling hat diesen Ungeist des Betrugs und der Geldgier aus dem Internet-Dschungel extrahiert und ihm eine Pappnase verpasst. Da muss einer schon früher aufstehen, der einen Buchprinzen betuppen will.

Esst-Killerkekse

Zum Schluss der vergnüglichen
Lesung reicht Frieling Killerkekse, deren sinnverwirrende Wirkung er zuvor ausgiebig geschildert hat. Ich nehme gleich zwei, um auf Nummer sicher zu gehen, denn Killerkekse machen die irre Welt für kurze Zeit erträglich. Am nächsten Abend treffen wir uns in einem indischen Lokal, das er seit gut zwanzig Jahren besucht. Wir reden über dies und das oder andersrum über das und dies, – das weiß ich nicht mehr genau. Bevor er mich zu meiner Berliner Unterkunft fährt, verrät er mir sogar ein bisschen von der Rezeptur der Killerkekse. Leider habe ich noch keinen Backofen. So, jetzt kommt nichts mehr. Das war der Hauptstadtrumbazumba, ohne Quintessenz mit Joint.

Tretet dAdA rein, aba hurtig!

Fotos und Gifs: Trithemius

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