„Ich verstehe nur El Barraco“ – Vom Schreiben

sich-ein-Bild-machenHeute musste ich verflixt lange im Internet recherchieren, bevor ich herausfand, wie das spanische Dorf El Barraco geschrieben wird. Es ist nämlich so klein, dass selbst Google es kaum findet und stattdessen „Barack Obama“ anbietet, dessen Oma freilich auch in einer Hütte leben soll. Barrack Obamas Oma hat aber nichts mit El Barraco zu tun. In El Barraco lebt der spanische Radprofi Carlo Sastre, wie ein Sportreporter während der Tour de France erzählte. Und er behauptete, das sei ein winziges Nest, in dem sich, o Wunder, Sastre trotz seiner sportlichen Erfolge weiterhin zu Hause fühlt. Vermutlich war der Reporter dem Klang des Namens aufgesessen, der doch irgendwie nahe legt, dass Sastre in einer grob zusammen gehauenen Hütte auf dem Lehmboden hockt.

Fein dachte ich, wenn ich beim Schreiben eine Ersatz-Metapher brauche für „… verstehe nur Bahnhof“ oder „spanische Dörfer“, nehme ich „El Barraco“. Es passt auch als Ersatz für „Buxtehude“, wenn man einen unbekannten Ort im Nirgendwo meint. Angenommen du schreibst den Satz: „Ein Kerl, der seinem Aussehen nach in El Barraco zu Hause ist, spie durch eine Zahnlücke vor meine Füße“, dann könnte man sich den lausigen Kerl ziemlich gut vorstellen und denken: Der Mann ist anschaulich beschrieben. Dabei ist die Figur eigentlich nicht beschrieben, sondern nur durch ihre Zahnlücke, ihre Handlung und durch eine Namen-Metapher charakterisiert.

Eine Weile besuchte
ich ein Autorentreffen in Aachen, das 14-tägig im Hinterzimmer des Cafes „Schnabeltasse“ abgehalten wurde. In der Schnabeltasse selbst waren dann die Tische und Stühle beiseite geräumt, denn am gleichen Abend probte ein Tangoverein. Man hatte einen echten Tango-Argentinier als Lehrer, mitsamt Stirnglatze und Zopf. Er schob seine jeweilige Partnerin in Zeitlupe über die Dielen, damit die drumherum stehenden Tangoschüler seine schwierigen Figuren studieren konnten. Denn als Deutscher hat man ja keinen Tango im Blut, sondern muss ihn sich durch analytische Nachahmung draufschaffen. Bevor die Tangotänzer sich ums Tangotanzen bemühten und die Autoren nebenan ihre Texte ablasen, standen alle eine Weile vor der Theke herum. Natürlich konnte man Tangotänzer und Autoren deutlich unterscheiden – also, die Tangotänzer und Tänzerinnen sahen irgendwie besser aus. Offenbar muss man sich entscheiden, will man als Schriftsteller mit inneren Werten glänzen oder ein Tangotänzer sein mit Schmalzfrisur.

Beinahe vom Thema abgekommen. Wie schafft man es, vor dem geistigen Auge eines Lesers anschauliche Bilder zu erzeugen? Man muss es einfach ihm überlassen. Ein Text braucht gut kalkulierte Leerstellen, die der Leser mit eigenen Bildern füllen kann. Beim Autorentreff las eine eifrige Schreiberin, der es gefiel, das Szenario ihres Textes bis ins Kleinste zu beschreiben. Die Handlung kam nicht voran. Stattdessen nahm sie den Leser bei den Ohren und führte ihn im Raum herum, stieß ihn mit der Nase hierhin und dahin und dann auch noch tief in die schmuck restaurierte, wunderbare, alte Vitrine, die sie von der Oma geerbt hat mitsamt einem süßen Service von altem Meißner Porzellan. Dass sie mich in der Vitrine nicht die Zentimeter zwischen Tassen- und Untertassenstapel per Nase ausmessen ließ, danke ich ihr noch heute. Vorne an fast allen Substantiven hingen schildernde Adjektivattribute wie Kletten – doch die überladenen Beschreibungen setzten sich nicht zu einem anschaulichen Bild zusammen. Man hatte als Leser keine Möglichkeit, sich den Raum aus der eigenen Vorstellung zu erschaffen, sondern trottete durch die geistige Karrenspur der Autorin wie ein hinterm Wagen angebundener Esel, der sich fragt: „Wann sind wir endlich da?“

Denn es ging durch schweren Boden: Die Häufung von schildernden Adjektivattributen erzeugt den reinen Kitsch und ist müßig wie die gewollten Hüftschwünge der Tangoschüler. Man erkennt die schildernden Adjektivattribute daran, dass man sie ohne weiters streichen kann, anders als die unterscheidenden Adjektive wie groß, klein oder schwarz. Manchmal sind selbst unterscheidende Adjektive überflüssig. Eine Halle musss man nicht „eine große Halle“ nennen, denn es hallt ja in ihr, also ist sie kein Schuppen. Und wenn man die Ausdehnung der Halle zeigen will, dann ist es besser, jemanden etwas darin tun zu lassen. „Tilgen Sie alle Adjektive!“ Leider weiß ich nicht mehr, wer das einem ratsuchenden Autor gesagt hat, doch der Rat ist gut. Er war aber nichts für die Vitrinen-Frau. Denn sie war so verliebt in ihre Beschreibungen, dass man fürchten musste, jede Kritik würde sie ins Unglück stoßen. Aber im Stillen habe ich sie mitsamt Oma und dem wunderbaren Vitrinenschrank nach El Barraco geblasen. Und da ist bestimmt die reine Freude ausgebrochen.

Foto: Trithemius

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