Keine Zeit, kein Geld und einen Storch umständehalber abzugeben – Nur für Selbstabholer

Lieber Selbstabholer,

diese Zeilen schreibe ich, um mich von einigen Dingen zu trennen. Sie sind kostenlos zu haben und können weiter unten abgeholt werden. Natürlich möchte ich nicht, dass sie jemand ungewollt bekommt, weshalb ich vorsorglich jede Verantwortung ablehne. Aus mir unbekannten Gründen trudelt nämlich seit Tagen ein unerquickliches Lied durch meinen Kopf. Ich ertappe mich beim Summen der Melodie und wie ich versuche, den bruchstückhaft erinnerten Text zu vervollständigen, obwohl weder Melodie noch Verse erinnerungswürdig sind. Es folgt jetzt unter dem oben genannten Vorbehalt das Lied:

„Keine Zeit und kein Geld, aber viel, viel Sorgen, und kein Mensch auf der Welt will uns zwei was borgen …“ (Erinnerungslücke, dann der Schluss) … „Und das nennen die Leute den Fortschritt von heute und rufen Juchheissassa.“

Die Wendung „Fortschritt von heute“ ist aus dem Sprachgebrauch verschwunden, denn sie konnte mit der „Globalisierung“ nicht mithalten. Das Wort „Juchhei“ habe ich schon einmal gelesen, doch ich habe noch nie erlebt, dass die Leute „Juchheissassa“ gerufen hätten. Im 18. Jahrhundert hießen solche Leute JUCHHEIER, was laut Deutsches Wörterbuch „ausgelassener Mensch“ bedeutet. Der Juchheier ist altbacken, und zum Juchheien habe ich grad mal keine Lust. Warum also geht in meinem Kopf dauernd dieses unerwünschte Popup-Fenster auf?

Bis eben wusste ich nicht, wer die ominösen zwei sind, denen keiner der Juchheier etwas borgen wollte. Es fehlten mir die Stimmen zu dieser Tragödie. Inzwischen weiß ich es: Das Lied heißt „Keine Zeit und kein Geld“ und wurde gesungen von Peter Alexander und – das kann nicht besser werden – Bill Ramsay. Beide nicht zu kennen, ist ein Privileg der späten Geburt. Prompt habe ich auch deren Stimmen wieder im Ohr, das österreichische Knödeln von Peter Alexander und die heisere, fast krächzende Stimme von Bill Ramsay, wie sie auf hohem Niveau im Duett jammern und klagen.

Heute redigierte und layoutete ich Schülertexte für eine Seite, die in einer deutschen Sonntagszeitung erscheint. In einem der Texte schreiben die Schüler über eine Zwergschule im rumänischen Siebenbürgen, in der sieben Erstklässler die deutsche Sprache lernen. Zu Beginn der Deutschstunde singen die Kinder:

„Auf unsrer Wiese gehet was, watet durch die Sümpfe, es hat ein weißes Röcklein an, trägt auch rote Strümpfe, fängt die Frösche, schwapp, wapp, wapp, klappert lustig, klapper di klapp! Wer kann es erraten?“

Im Artikel stand jedoch: „Auf unsrer Wiese geht etwas, watet durch die Sümpfe.“ Der Kollege, mit dem ich die Schlusskorrektur mache, hatte bemerkt, dass das Versmaß nicht stimmte. Und dann sang er mir den Vers vor, worauf ich zur Probe die falsche Fassung sang. Daher hatte ich auf dem Heimweg das Storchenlied im Ohr, bis plötzlich Ramsay und Alexander drüber herfielen. Dieses Durcheinander in meinem Kopf von „Auf unsrer Wiese gehet was, watet durch die Sümpfe“ und „Fortschritt von heute“ ist mir auf Dauer zuviel. Peter Alexander und Bill Ramsay grölend auf einem klappernden Storch, das ist einfach albern. Deshalb, lieber Selbstabholer, würde ich mich freuen, wenn du beide Lieder mitnehmen könntest. Und wenn dir das zuviel ist, dann hab Mitleid mit der Kreatur und nimm wenigstens den Storch.

Vielen Dank
Trithemius

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