2. interaktives Literaturexperiment im Teppichhaus – Unfreiwillige Archäologie des Alltags

1. August anno 1908
Es wird derzeit viel disputiert über eine mächtige Explosion, die sich am 30. Juni 1908 im fernen Sibirien ereignet haben soll. Die Ursache ist nach wie vor rätselhaft, wie wohl die Nachrichten aus den russischen Landen nur spärlich fließen. Die Redaktionsleitung hat den Korrespondenten M. zum Flusse Tunguska gesandt, doch er kehrte vorgestern unverrichteter Dinge zurück. Man hatte ihn an der Grenze zurückgewiesen, seine Schreibmaschine aber als ‚revolutionäres Werkzeug‘ beschlagnahmt, was wieder einmal ein Beispiel der bekannten Unwissenheit russischer Beamter ist. Gestern erzählte mir M. von der abenteuerlichen Theorie eines Engländers, daß am Flusse Tunguska ein Asteroid aus Antimaterie niedergegangen sei, der ein großes Loch in die sibirische Taiga geschlagen habe, das fürderhin wachsen werde, indem es alles in seiner Umgebung verschlingt. „Die Idee der Antimaterie entstammt wohl einem utopischen Roman“, wandte ich ein und ließ ihn stehen. Sei’s drum. Sibirien ist schier unermesslich und so gut wie unbewohnt. Selbst ganze Landestriche könnten dort verschwinden, ohne daß die zivilisierte Welt Schaden nähme.

Tagebuch

Eben noch habe ich in der Zeitungssetzerei gestanden, um mit dem 1. Setzer die Schlußkorrektur der Titelseite zu machen. Da gerieten wir in Streit über die Unterzeile „Explosion in Sibirien – Russland verweigert sich jeder Hülfe“. Am Ende zog der sture Kerl die Zeile aus der Satzform, schritt zur Linotype-Setzmaschine hinüber, und indem er dem Maschinensetzer befahl, „Hilfe“ statt „Hülfe“ zu setzen, warf er meine Unterzeile in den Schmelztiegel. So zerrann die „Hülfe“ im flüssigen Blei. Ich dachte noch: „Es ist ein Elend. Man erkennt sein eigen Werk nicht mehr, wenn es aus der Druckerei kommt.“ Da plötzlich wurde mir schwarz vor Augen, und wie ich an einem Setzkasten Halt suchte, griff ich hindurch. Mit dem Setzkasten verschwand die vertraute Welt! Ich fand mich wieder – auf den Straßen einer mir unbekannten Stadt, – am 1. August 2008! O Gott! Mir wird schier schwindlig, dieses Datum zu schreiben. Doch ich habe es schwarz auf weiß auf einem Zeitungstitel gelesen. Aus mir unerfindlichen Gründen bin ich durch die Zeit geschleudert worden. Einhundert Jahre!!! Wieso genau einhundert Jahre?

1. August anno 2008
Diese Welt ist mir schier unfaßbar fremd und doch zuweilen träumerisch vertraut. Mal verengt sich mein Herz, wenn ich an die Zeit denke, aus der ich komme und an die mir teuren Menschen, die nun längst das Zeitliche gesegnet haben, mal erfaßt mich eine nüchterne Neugier, dann wieder eine überbordende Lustigkeit. „Das also ist die Zukunft der Menschheit, hehehe und hoha!“ Was tue ich hier? Und warum trage ich einen Hut, der gleich einem Chamäleon seine Farbe wechselt, wann immer meine Stimmung sich wandelt? Ich habe Angst, den Verstand zu verlieren. Daher will ich Halt im Schreiben suchen, die seltsamen Beobachtungen notieren und meine Schlüsse daraus ziehen.

Die-Vorgaben

Das Bildmaterial der Stadtimpressionen findest du auf den folgenden Seiten. Der Mauszeiger verrät die Bildnummer. Bitte notieren. Nimmm dir Ruhe, Vorgabe und Material zu sichten. Erst gegen 21:05 Uhr endet das Literaturexperiment (12 Minuten für Aufgabenstellung und Vorbereitung, 33 Minuten zum Schreiben). In der Kürze liegt die Würze. Wenn du deine Tagebuchnotiz(en) fertig hast, sende sie bitte (mit Bildnummer) an Jules_van_der_Ley@gmx.net oder als Private Nachricht über das Blog.de-Nachrichtensystem.
Die eingesandten Notizen stelle ich nach Sichtung zu einem Gemeinschaftstext zusammen, (falls das Antimaterie-Experiment im CERN bei Genf gut gegangen ist und uns nicht versehentlich wieder ins Jahr 1908 verfrachtet.)

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