Wenn auch die Lotsen verwirrt sind

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„Aber Bloggen! Wozu die Menschen heutzutage Zeit finden!“, schrieb mir unlängst Thomas Gsella, Chefredakteur der satirischen Zeitschrift Titanic. Man kann von den Kollegen der Presse nicht erwarten, dass sie das neue Publikationsmedium Weblog freudig begrüßen. Sie reden es lieber klein. Schließlich rauben Blogs den Printmedien nachhaltig und zunehmend die informelle Oberhoheit und bedrohen Arbeitsplätze in den Redaktionen. Bis etwa zur Jahrtausendwende schien die Welt des professionellen Journalismus noch in Ordnung. Ausschließlich Redaktionen sichteten Informationen, wählten aus der Fülle des Angebots, erschlossenen Themen, nahmen Stellung, setzten Trends und bestimmten die öffentliche Diskussion. Es schien stets genau soviel zu passieren, wie gerade in die Zeitung, in die Wochenzeitschrift oder in die Tagesschau passte.

Die freie Presse ist das wichtigste Kontrollorgan einer Demokratie. Die Alliierten haben nach 1945 ein kluges System erdacht, wie den Deutschen Demokratie und eine Idee von Meinungsfreiheit beizubringen wäre. Die Lizenzen für Zeitungsgründungen wurden so vergeben, dass sich in den jeweiligen Verbreitungsgebieten eine linksliberale und eine rechtskonservative Zeitung gegenüberstanden, zum Beispiel: Aachener Nachrichten (linksliberal) – Aachener Volkszeitung (rechtskonservativ), Kölner Stadtanzeiger (linksliberal) – Kölnische Rundschau (rechtskonservativ), Frankfurter Rundschau (linksliberal) – Frankfurter Allgemeine Zeitung (rechtskonservativ). Diese Ordnung brachte eine lebendige politische Diskussion und hat die Entwicklung unserer Demokratie entscheidend geprägt.

Inzwischen sind in unserer Zeitungslandschaft nur noch Reste dieser Struktur zu sehen. Mit dem Ende der Bleizeit in den 70er Jahren gerieten viele Zeitungen in wirtschaftliche Probleme, gegen die man sich mit Zusammenschlüssen half. So fusionierten Aachener Nachrichten und Aachener Volkszeitung, gingen auf in einem gemeinsamen Zeitungsverlag, der wiederum seit 2007 in Teilen der Mediengruppe Rheinische Post gehört. In Köln ging es ähnlich zu. Die Verlagsgruppe M. DuMont Schauberg gibt seit 1999 zusätzlich zum linksliberalen Kölner Stadtanzeiger auch die konservative Kölnische Rundschau heraus. 2006 kaufte DuMont sich bei der angeschlagenen Frankfurter Rundschau ein. Diese Beispiel der bedenklichen Pressekonzentration in Deutschland lassen sich fortführen. Sie gehen mit einer inhaltlichen Nivellierung einher und kennzeichnen so den Abstieg eines stolzen und wichtigen Publikationsmediums.

Wer in der Buchkultur aufgewachsen ist und es sich leisten kann, nimmt noch allmorgendlich ein Zeitungsbad, wenn’s auch immer lauer wird, weil Journalisten zunehmend Rücksicht auf wirtschaftliche Zwänge nehmen. Den Kindern der Internetkultur ist die Zeitung zu lahm. Mit der überwältigenden Vielfalt der Internetangebote kann sie nicht konkurrieren. Dieser Autoritätsverlust der etablierten Medien ist nicht mehr umzukehren, solange das Internet besteht.

Der Medienphilosoph Vilém Flusser (* 12. Mai 1920 in Prag, † 27. November 1991) hat die Entwicklung schon Ende der 80er Jahre vorausgesagt. Er sah die Buchkultur im Abendrot versinken und eine „telematische“ Gesellschaft heraufziehen, deren wesentliches Merkmal die Entwertung der Schrift, die Aufwertung der Zahl und des technischen Bildes ist. Mit dem Entstehen der Internetkultur hat sich Flussers Idee konkretisiert. Sie hat Gestalt angenommen, obwohl sie gestaltlos ist, nulldimensional, wie Flusser sagt. In der von ihm beschriebenen telematischen Gesellschaft gibt es keine Autoritäten. Hier dominiert die Diskussion. Durch ihre Vernetzung lenkt die telematische Gesellschaft sich selbst, ist in Flussers Vorstellung ein „kosmisches Hirn“. Eine ähnlich positivistische Idee ist die der Schwarmintelligenz.

„Aber Bloggen!“ – Gelegentlich fragt sich mancher Blogger, was er eigentlich macht. Wozu ist es gut, unentwegt Texte und Bilder zu publizieren, sollte man das nicht besser den Profis überlassen? Die Frage ist müßig, denn indem ein Medium zur Verfügung steht, wird es genutzt. Die Entscheidung des Einzelnen, ob er bloggt oder nicht, ist ohne Belang, solange die Zahl der Blogger weltweit zunimmt. Derzeit wissen viele Blogger noch nicht recht einzuschätzen, welches Werkzeug ihnen in die Hand gegeben wird. So geht es zu in den Anfängen eines Mediums, es gibt wenig Fachkenntnis, kaum Regeln und daher allgemeinen Wildwuchs. Ob sich hier tatsächlich etwas Ähnliches wie kollektive Intelligenz entwickelt, muss sich noch zeigen.

Das Internet hat unseren Alltag nachhaltig verändert. Es zeigt uns die ungeheure Komplexität der Welt und raubt uns die Begriffe. Und indem sich die Welt nicht mehr allein von Redaktionen gefiltert darbietet, reiben wir uns die Augen und erkennen, dass wir von allem, was wir sicher zu wissen glaubten, nur den Schein der Oberfläche kannten. Doch auch das Internet bietet nur Oberflächen, und schaut man dahinter, erscheint eine neue Oberfläche. Ein jeder Gegenstand der Betrachtung gleicht einer Zwiebel, Schale über Schale. Das ist das Dilemma unserer globalisierten und überinformierten Welt. Niemand kann mehr alle Zusammenhänge überblicken oder gar begreifen. Das gilt auch für die einst so kundige Fährleute aus den Redaktionen. Und da selbst sie die Untiefen im Ozean der Informationen nicht mehr überblicken, verlegen sie sich zunehmend auf Meinungsmache, ein Trend, der sich in allen Zeitungen ablesen lässt. Die Stilformen der Zeitungen verwischen, viele Berichte, die einst nur die Information darbieten sollten, enthalten Meinungsanteile. In den 90ern hat die Frankfurter Rundschau ihre Leser noch typographisch auf solche Mischtexte aufmerksam gemacht. Man setzte die Überschrift kursiv, wenn der Bericht auch kommentierende Elemente enthielt. Diese typographische Achtungsbezeugung vor der Selbstbestimmung des Lesers wirkt zehn Jahre später nur noch altmodisch.

Die Fehlentwicklungen beim Printmedium bringen eine Abkopplung von Traditionen der Buchkultur. Damit beschleunigt es den eigenen Niedergang. Es liegt eben nicht nur an der Konkurrenz durch Blogs und andere Erscheinungen des Internets, wenn unsere Zeitungslandschaft erodiert.

Flussers Idee der telematischen Gesellschaft ist eine Utopie. Und da sich Utopien nicht zu verwirklichen pflegen, dürfen wir auf das Entstehen von kollektiver Intelligenz nur hoffen. Vielleicht sind selbst Blogs eine vorübergehende Erscheinung, denn sie sind Zwitter, stehen mit einem Bein in der Buchkultur und tasten mit dem anderen in die Nulldimension des technischen Bildes. In diesem Sinne bilden sie auch eine Klammer und sorgen dafür, dass der Geist nicht gar so rasch im Internet-Orkus verschwindet. Man muss sich das Weltgeschehen als Rückkopplungsmodell vorstellen. Was an Information erzeugt wird, wirkt auf das Geschehen zurück und verändert es. So hat jeder, der sich eines Publikationsmediums bedient, seinen Anteil an der Gesamtentwicklung. Das ist ein guter Grund, eine Zeitung zu machen wie auch zu bloggen.

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